Flusskrebse: Roman (German Edition)
was gibt’s noch über Flusskrebse zu erzählen?“ gab Magda das Stichwort.
„Na, da ist zum Beispiel vor ungefähr 15 Jahren in den Aquarien von deutschen Krebsliebhabern der Marmorkrebs aufgetaucht. Kein Mensch weiß, wo der herkommt, wo der sein natürliches Zuhause hat. Wahrscheinlich in Amerika. Genetisch ist er jedenfalls mit dem nordamerikanischen Procambarus fallax verwandt. Die Importeure konnten keine vernünftigen Angaben machen, wo sie das Vieh herhatten. Die haben ja keinerlei Verantwortungsgefühl. Natürlich ist er ein Krebspestüberträger, und noch dazu vermehrt er sich rasend schnell. Er ist nämlich eine Sie. Es gibt nur Weibchen, man hat noch kein einziges Männchen gefunden, und diese Weibchen vermehren sich durch Jungfernzeugung, ohne Befruchtung. Alle acht Wochen kriegen die 120 Junge. Und was machen die Aquarienbesitzer? Sie schmeißen die Jungtiere ins Klo. Und schon verbreiten sich die Viecher in der Landschaft.“
„Ich hab immer geglaubt, die geschlechtliche Vermehrung ist so ein großer Vorteil, wegen der genetischen Durchmischung. Weil sich die Art dann besser an neue Lebensumstände anpassen kann. Wie kann’s denn da auf einmal Jungfernzeugung geben?“
„Na ja, man ist draufgekommen, dass die Rechnung gar nicht so einfach ist. Die äußere Umwelt verändert sich nicht so schnell. Die Entstehung der geschlechtlichen Vermehrung lässt sich eigentlich nur durch den Wettlauf mit den Krankheitserregern erklären. Weil die eben sehr schnell mutieren. Da mussten komplexere Lebewesen, wo lebensfähige Mutationen nicht so häufig sind, einen anderen Weg finden, sich in unterschiedlichen Varianten zu reproduzieren. Wenn jedes Individuum ein bisschen anders ist, tun sich die Bakterien und Viren schwerer, sie können nicht gleich eine ganze Population befallen. Wenn sich ein Virus einmal auf den Marmorkrebs spezialisieren würde, hätte es natürlich leichtes Spiel, weil das ja alles Klone sind. Aber sonst kann die Jungfernzeugung ein Vorteil sein. Die Marmorkrebse brauchen keine Zeit und Energie zu verschwenden, einen Geschlechtspartner zu finden. So können sie sich schneller vermehren und haben gegenüber anderen Flusskrebsen die Nase vorn.“
„Was glaubst du, wird man jemals Menschen klonen?“
„Sicher. Die Menschen haben immer noch alles gemacht, was machbar war. Aber identische Klone herstellen bringt nicht viel. Es gibt so eine mythische Vorstellung, wenn ich einen Klon von mir herstelle, dann lebe ich in dem weiter. Aber das ist ja Quatsch. Mein Klon wäre einfach mein Zwilling, obwohl mein jüngerer Zwilling. Aber er hätte sein eigenes Leben und sein eigenes Bewusstsein und wüsste überhaupt nichts von mir, außer dem, was ich ihm erzähle. Aber es wird natürlich so sein, dass Frauen, die sich künstlich befruchten lassen, es sich in Zukunft einmal aussuchen werden können, ob sie ihre Eizelle mit einer männlichen Samenzelle oder mit einer anderen weiblichen Eizelle befruchten lassen.“
„Also werden die Männer eines Tages überflüssig sein!“ warf Hugo ein.
„Das Lustige ist ja“, sagte Vera, „dass die Wissenschaftler, die da so wild darauf sind, die künstliche Befruchtung zu entwickeln, hauptsächlich Männer sind. Sie denken gar nicht daran, dass sie sich ihr eigenes Grab schaufeln.“
Magda fasste Hugo um die Mitte. „Zum Glück für euch Männer kann man mit euch auch dann noch Spaß haben, wenn man euch nicht mehr für die Zeugung braucht. Da werden wir schon unseren Töchtern zuliebe noch ein paar Männer zeugen.“
„Die Frage ist, ob es Sex dann noch geben wird“, dozierte Mautner. „Schon heute kann man Sex haben, ohne Kinder zu kriegen, und man kann Kinder zeugen, ohne Sex zu haben. Bisher haben Jahrmillionen lang die Menschen, die keinen Spaß am Sex hatten, keine Kinder gemacht - oder jedenfalls weniger. Heute bewegen wir uns auf einen Zustand zu, wo nur die Leute Kinder bekommen, die Kinder haben wollen, egal ob sie Spaß am Sex haben oder nicht. Also wird der Spaß am Sex mit der Zeit verkümmern wie die Augen beim Maulwurf und die Beine bei der Blindschleiche. Leute, die nur Sex wollen, aber keine Kinder, werden ein sexuell erfülltes Leben führen ohne sich fortzupflanzen. Kinder werden nur die Kinderliebenden haben, und die werden ihre Kinderliebe weitervererben. Das müsste sich der Papst einmal überlegen. Von der Evolution her gesehen bewirken Kondome, dass die Sünder aussterben.“
Es entspann sich eine lebhafte Diskussion
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