Flusskrebse: Roman (German Edition)
habe, wie sie Blattläuse auf Bäumen auf die Weide bringen, wie sie den Zuckersaft, den die Blattläuse ausscheiden, melken, wie sie sie gegen eine Marienkäferlarve verteidigen, wie sie sie im Winter in den Stock tragen und dort pflegen – das ist unglaublich.
Ameisen haben auch eine Art Landwirtschaft erfunden. Die Blattschneiderameisen in Südamerika schneiden Stücke von Blättern heraus und tragen sie in den Bau. Dort zerkauen jüngere Ameisen die Blätter und züchten darauf einen Schimmelpilz, von dem sich die Ameisen ernähren.
Als mich mein Professor beauftragt hat, die Amazonenameisen zu beobachten, habe ich meine Meinung über die Ameisen freilich geändert. Sie haben auch Sklaverei und Krieg schon lange vor uns erfunden.“
„Sklaverei?“ Juvénal schien wahrhaftig schockiert zu sein. „Dass Tiere kämpfen und einander töten und fressen, das weiß man. Aber wie kann ein Tier ein anderes Tier versklaven?“
„Es gibt Ameisen, die brechen in fremde Nester ein und stehlen die Eier und Puppen. Einen Teil fressen sie auf und einen Teil ziehen sie auf und lassen sie für die eigene Kolonie arbeiten. Die Arbeiterinnen der Amazonenameise sind überhaupt reine Krieger, sie haben alle anderen Fähigkeiten verloren. Sie wissen nicht, wie man den Nachwuchs pflegt, sie können keine Gänge graben, sie können nicht einmal Futter beschaffen. Ja, sie können nicht einmal fressen, sie müssen von den Sklavenarbeiterinnen gefüttert werden.“
„Parasiten!“ sagte Patrice verächtlich.
„Ja. An warmen Sommernachmittagen schicken sie ihre Späherinnen aus, die nach Nestern von Waldameisen suchen. Wenn eine Späherin eines gefunden hat, kommt sie zurück zum Nest und trommelt alle Kriegerinnen zusammen. Dann zieht eine Armee von ein paar hundert Ameisen zu dem Waldameisennest. Die Waldameisen verteidigen sich kaum. Sie fliehen aus dem Nest und klettern auf Grashalme, und dabei nehmen sie soviele Eier und Puppen wie möglich mit, um sie zu retten. Die Amazonen bringen die Larven und Puppen, die sie erbeuten, zu ihrem eigenen Nest. Die werden dort von den Sklavenarbeiterinnen betreut, bis sie schlüpfen, und arbeiten dann für die Kolonie der Amazonen. Die Amazonen zerstören die Nester der Waldameisen nicht und sie verfolgen auch nicht die Flüchtlinge. Nur Ameisen, die sich wehren, werden totgebissen. So können die Amazonen das Nest später wieder berauben.“
Juvénal schüttelte fassungslos den Kopf. „Das ist so wie bei den Mai Mai im Kongo. Sie führen schon so lange Krieg, dass sie auch nicht mehr wissen, wie man ein Feld bebaut.“
„Mein früherer Professor hat in einem Buch geschrieben:
Wenn Ameisen Nuklearwaffen hätten, würden sie wahrscheinlich innerhalb einer Woche das Ende der Welt herbeiführen.
„Gibt es auch Kämpfe zwischen Ameisen derselben Spezies?“ fragte Frau Saberi.
„Allerdings. Krieg ist unter Ameisen die Regel, und zwar gekennzeichnet durch
rastlose Aggression, territoriale Eroberung und völkermörderische Auslöschung benachbarter Kolonien wann immer möglich
, wie mein Professor geschrieben hat.“
„Die Arbeitsteilung macht’s möglich!“ knurrte Patrice.
Frau Saberi nickte zustimmend: „Das scheint mir auch so. Die Ameisen können sich mörderische Kämpfe leisten, weil sie sich nicht selber fortpflanzen. Wenn ein paar tausend sterben, kann die Kolonie das mühelos verkraften, weil ja die Königin die Eier legt und nicht die Arbeiterinnen, stimmt’s, Professor?“
„Ja, da haben Sie sicher recht. Andere Tiere müssen da viel vorsichtiger sein. Auch Singvögel beispielsweise sind ja territorial, wie Konrad Lorenz das genannt hat. Sie verteidigen ihr Territorium und verjagen Eindringlinge, weil die natürlich mit ihnen um das Futter für ihre Brut konkurrieren. Je größer das Territorium ist, das ein Vogelpärchen besitzt, um so mehr Junge kann es aufziehen. Aber Singvögel kämpfen praktisch nie bis aufs Blut. Wenn das Vogelmännchen spürt, dass es schwächer ist als der Gegner, wird es den Kampf abbrechen und fliehen. Denn wenn es getötet wird, ist jede Chance auf Fortpflanzung dahin. Aber wenn es flieht, kann es vielleicht anderswo noch unbesetztes Territorium finden oder einen noch schwächeren Gegner, den es vertreiben kann.“
„Aber wird so ein Vogelpärchen sein Territorium bis ans Ende der Welt ausdehnen, wenn es die Gegner besiegen kann?“ fragte Patrice.
„Natürlich nicht. Es braucht ja dieses Territorium, um für seine Jungen Futter zu
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