Flusskrebse: Roman (German Edition)
sparsam verausgaben. Das sollte man jedenfalls annehmen. Ein Lebewesen, das Energie verschwendet, wird von anderen überrundet werden, die diese Energie dazu verwenden, mehr Junge aufzuziehen oder die Jungen besser zu ernähren und besser zu verteidigen und so weiter. Es gibt aber ganz viele Erscheinungen in der Natur, die dem zu widersprechen scheinen. Im Regenwald von Südostasien lebt zum Beispiel der Argusfasan. Das Männchen hat eine Körperlänge von vielleicht 60 cm und einen 140 cm langen Schwanz. Die Schwanzfedern sind so lang, dass der Vogel beinahe flugunfähig ist. Warum sind die Schwanzfedern so lang? Sollte ein Männchen, das nicht so viel Ballast mit sich herumschleppen muss, nicht mehr Nahrung suchen können, besser vor Raubtieren fliehen können und so länger leben und mehr Weibchen begatten? Nun, es ist aber nicht die Umwelt, die dem Argusfasanmännchen die langen Schwanzfedern angzüchtet hat, sondern es sind die Weibchen. Bei der Balz präsentiert der Hahn dem Weibchen seine Schwanzfedern, er hebt sie über den Körper nach vorne, breitet die Flügel aus, dreht die Handschwingen nach oben und zuckt damit. Die Hennen entscheiden sich für das Männchen mit den längsten und prächtigsten Federn. Warum wohl?“
„Weil sie das sexy finden!“ lachte Juvénal.
„Das denke ich auch“, sagte Mautner. „Aber jetzt müssen wir uns fragen, warum ist ihnen diese Vorliebe angeboren? Offenbar haben Hennen, die Hähne mit besonders langen Federn sexy finden, mehr Nachwuchs als solche, die Gefallen an Hähnen mit weniger beschwerlichem Federschmuck haben. Warum ist das so?“
„Diese Hähne müssen irgend einen Vorteil haben“, überlegte Patrice. „Vielleicht sind sie stärker, weil sie diese langen Federn tragen müssen.“
„Ja, richtig. Ein Hahn, der mit 140 cm langen Schwanzfedern überlebt, muss besonders kräftig sein, muss besonders gut darin sein, Raubfeinden zu entkommen, muss besonders gut im Abwehren von Krankheiten sein, muss besonders gut im Finden von Futter sein und so weiter, sonst überlebt er gar nicht so lange, bis er ein Weibchen begatten kann. Wenn ein Weibchen also lange Schwanzfedern sexy findet, bekommt sie automatisch ein Männchen mit all diesen Fähigkeiten. Weibchen, die kurze Schwanzfedern sexy finden, bekommen viel öfter weniger starke Männchen, und ihr Nachwuchs wird nicht so gesund und kräftig sein. Also wird sich die Vorliebe für lange Schwanzfedern durchsetzen.
Viele sexuelle Werbesignale der Männchen sind solche Behinderungen. Männchen verzichten in der Zeit der Werbung auf Tarnfärbung und entwickeln auffallend bunte Signalfarben. Sie führen aufwändige Werbetänze vor, machen sich durch lauten Gesang auffallend, kopieren sogar völlig überflüssig die Gesänge anderer Vögel und sogar die Geräusche von Kettensägen oder startenden Autos. Indem sie sich selbst Behinderungen auferlegen, demonstrieren sie ihren Kräfteüberschuss. Die Biologen nennen das das Handicap-Prinzip.
Auf Neuguinea gibt es einen kleinen, ziemlich unscheinbaren Vogel, der ein richtiger Künstler ist. Die Männchen bauen aus Ästchen riesige Nester, die aber gar keine Nester sind, weil sie nicht benutzt werden, um die Jungen darin aufzuziehen. Sie dienen nur dazu, die Weibchen zu beeindrucken. Der Vogel schmückt auch noch die Umgebung dieser Laube mit bunten Gegenständen aus. Er trägt Früchte, Schmetterlingsflügel, Blüten aber auch Kronenkorken und Plastikabfälle zusammen und legt sie nach Farben geordnet um seine Laube herum aus. Dann lockt er ein Weibchen an und präsentiert ihr sein Werk. Die Weibchen begutachten die Lauben, und wenn sie davon gebührend beeindruckt sind, lassen sie sich von dem Männchen begatten. Die Laube hat sonst keinen Zweck, es ist wirklich brotlose Kunst, was der Vogel da betreibt. Ich werde Ihnen vorlesen, was Jared Diamond, der diese Laubenvögel beobachtet hat, dazu geschrieben hat: Das Weibchen ‚
weiß sofort, dass das Männchen kräftig ist, da die Laube hundertmal soviel wiegt wie es selbst und manche der Dekorationselemente, die es aus zig Meter Entfernung herbeischleppen musste, halb so schwer sind wie sein eigener Körper. Das Weibchen weiß auch, dass das Männchen genügend Geschicklichkeit besitzt, um Hunderte von Stöcken und Zweigen zu verflechten. Es muss ein gutes Gehirn besitzen’
Nur möchte ich ergänzen, dass das Weibchen das alles natürlich nicht weiß. Es muss das gar nicht wissen, denn seine Vorliebe für möglichst
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