Flusskrebse: Roman (German Edition)
muss schon ziemlich gut sein.
Das scheint auch auf die Menschen zuzutreffen. Bei den meisten Sammler- und Jägervölkern, die wir kennen, sammeln die Männer und Frauen Früchte, Wurzeln, Nüsse und so weiter für sich und ihre Familie. Aber wenn die Männer eine Antilope oder einen Büffel erlegt haben, dann wird das Fleisch aufgeteilt. Bei den Hadza in Ostafrika zum Beispiel wird nur solches Großwild aufgeteilt. Nun haben sich Forscher gefragt, warum die Männer überhaupt Großwild jagen. Sie haben die Jäger beobachtet und festgestellt, dass sie mehr Fleisch nach Hause bringen könnten, wenn sie sich auf Vögel, Hasen, Erdferkel und anderes Kleinwild konzentrieren würden. Die Jagd auf Großwild bringt zwar gelegentlich große Beute, aber oft bleibt sie auch erfolglos. Aber mit ein paar erlegten Hasen und Vögeln kann „mann“ eben nicht seine Stärke und Gewandtheit beweisen.
Auf der Insel Mer bei Australien leben die Meriam. Sie leben vom Fischfang und von den großen Meeresschildkröten. Für die Schildkröten kennen sie zwei Saisonen: Es gibt die Zeit, wo die Schildkröten an Land kommen um Eier zu legen. In dieser Zeit fahren die Familien mit dem Boot zu einem Strand, plaudern und spielen und warten auf Schildkröten. Wenn eine an Land kriecht wird sie auf den Rücken gelegt, gefesselt und ins Boot gebracht. Fünf Monate im Jahr kommen die Schildkröten nicht an Land. Dann kann man sie nur vom Boot aus jagen. Das machen nur Männer. Ein Mann bindet sich ein Seil um die Brust und springt vom Boot auf eine schwimmende Schildkröte. Er muss das Tier, das sich heftig wehrt, fest umklammern, während die anderen Männer das Seil zum Boot heranziehen und dabei ein Auge auf Haie haben, die vielleicht von dem Tumult angelockt werden. Dann hieven sie gemeinsam das Tier ins Boot. Wenn nun eine Person stirbt, wird nach einer bestimmten Trauerzeit ein Festmahl fürs ganze Dorf gegeben. Und zu diesem Festmahl wird Schildkrötenfleisch serviert. Aber für ein solches Fest dürfen die Schildkröten nicht am Strand aufgesammelt werden, sie müssen vom Boot aus gejagt werden, auch wenn es die Saison ist, wo die Schildkröten an Land kommen. Unter den Meriam kennt jeder die großen Schildkrötenjäger. Die großen Schildkrötenjäger finden schneller und früher eine Frau und bekommen früher ihr erstes Kind. Und sie bekommen die Frauen, die von den anderen als besonders arbeitsam und geschickt gerühmt werden.“
„Auf meiner Flucht“, begann Patrice langsam, „habe ich auch eine Zeitlang bei den BaTwa gelebt. Die Twa sind in unserem Land nicht sehr geachtet. Sie sind die ältesten Bewohner des Landes, sie haben in den Wäldern gelebt, lange bevor die BaHutu und BaTutsi gekommen sind. Früher waren sie Sammler und Jäger. An den Höfen der Tutsi-Könige waren sie als Soldaten und Harfenspieler beschäftigt. Als die Wälder immer weniger wurden, haben sie von der Töpferei gelebt. Heute sind viele von ihnen Bettler. Von den Töpfen können sie auch nicht mehr leben, denn man zahlt ihnen für einen Topf aus Ton, den sie mit ihren Händen machen, nicht mehr, als man für einen Plastikeimer aus der Fabrik zahlt. Der alte Mann, bei dem ich gelebt habe, hat mir erzählt, wie es früher bei ihnen war. Ein junger Mann war erst dann heiratsfähig, wenn er mindestens eine Antilope allein erlegt hatte. Und wenn die jungen Männer von ihren Bräuten redeten, dann prahlten sie damit, dass sie ihren Schwiegereltern einen Büffel, wenn nicht einen Elefanten schenken würden. Und es ist auch wirklich vorgekommen, dass ein Jäger allein einen Waldelefanten erlegt hat.“
„Aber wenn uns die Freigebigkeit angeboren ist wie dem Argusfasan die Schwanzfedern, wie erklären Sie dann, dass es so viel Selbstsucht auf der Welt gibt?“ fragte Juvénal zweifelnd.
„Ich behaupte gar nicht, dass uns die Freigebigkeit angeboren ist oder die Hilfsbereitschaft. Uns ist auch nicht der Wunsch, uns tätowieren zu lassen oder von Türmen zu springen angeboren. Was ich vermute ist, dass uns bloß der Drang angeboren ist, unsere Kraft verschwenderisch auszugeben, mehr zu tun, als zum bloßen Überleben notwendig ist.
Unser Verhalten wird ja nicht so unmittelbar von Instinkten gesteuert wie das der Tiere. Eine Kuh zum Beispiel kann nur Gras fressen und wiederkäuen. Wenn sie kein Gras findet, kann sie sich nicht auf Nüsse umstellen oder Kaninchen jagen. Löwen jagen meistens in Gruppen, aber Leoparden werden immer nur alleine auf die Jagd gehen.
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