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Flusskrebse: Roman (German Edition)

Flusskrebse: Roman (German Edition)

Titel: Flusskrebse: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Auer
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Wir Menschen haben viele Tausende Arten erfunden, uns Nahrung zu beschaffen. Aber es ist immer noch der Hunger, der uns zum Essen zwingt. Man kann nicht sagen, dass der Fresstrieb beim Menschen schwächer wäre als beim Wolf. Aber im Gegensatz zur Kuh und zum Wolf sagt uns der Trieb nur, dass wir essen müssen, und nicht, wie wir uns das Essen beschaffen sollen. Dazu haben wir unseren Problemlösungsapparat, unsere Intelligenz.
    [Diese Intelligenz benützen wir allerdings viel weniger oft, als man vermuten würde. Es kommt eigentlich ziemlich selten vor, dass wir selber ein Problem lösen. Meistens wird unser Verhalten durch Gewohnheiten bestimmt – wir wenden Lösungen, auf die wir einmal gekommen sind, immer wieder an; oder durch Nachahmung – wir beobachten, wie andere eine Problem lösen; oder durch Überlieferung – wir erfahren, wie Probleme früher gelöst worden sind. ]
    In meiner Jugend habe ich mit Begeisterung die Werke von Erich Fromm gelesen. Das war ein Psychologe und Philosoph und meiner Meinung nach ein großer Humanist. Er hat in seiner Tätigkeit als Psychotherapeut festgestellt, dass dem Menschen ein tiefer Drang innewohnt,
etwas zu bewirken
, eine Spur in der Welt zu hinterlassen. Mautner blätterte in dem zerlesenen Suhrkamp-Band herum, bis er die richtige Stelle fand:
Wirken zu können bedeutet, dass man aktiv ist und nicht nur andere auf uns einwirken, dass wir aktiv und nicht nur passiv sind. Letzten Endes beweist es, dass wir sind. Man kann dieses Prinzip auch so formulieren: Ich bin, weil ich etwas bewirke.
    Schon kleine Babys wollen etwas bewirken. Überall auf der Welt gibt es die Babyrassel, mit der schon die Kleinsten Lärm erzeugen können. Kinder stellen mit großem Eifer Bausteine zu hohen Türmen aufeinander – und stoßen sie mit großer Freude am Krach wieder um.
    Auch der Erwachsene hat das Bedürfnis sich selbst zu beweisen, dass
er fähig ist, eine Wirkung auszuüben. Es gibt mannigfache Möglichkei
ten, sich dieses Gefühl zu verschaffen: man kann im Säugling, der
gestillt wird, einen Ausdruck der Befriedigung hervorrufen, im geliebten Menschen ein Lächeln, im Sexualpartner eine Reaktion, man kann
im Gesprächspartner Interesse wecken. Das gleiche kann man durch materielle, intellektuelle oder künstlerische Arbeit erreichen. Aber man kann dasselbe Bedürfnis auch befriedigen, indem man über andere Macht gewinnt, indem man ihre Angst miterlebt, indem der Mörder die
Todesangst auf dem Gesicht seines Opfers beobachtet, indem man ein
Land erobert, indem man Menschen quält, und einfach dadurch, dass man zerstört, was andere aufgebaut haben.

    Mautner schwieg, und eine Weile sagte niemand etwas.
    Patrice brach schließlich das Schweigen„Es ist also derselbe Trieb, der sich einmal kreativ und einmal destruktiv auswirkt?“
    „Ja. Das hat Fromm festgestellt. Er hat geschrieben: Wenn man sich mit Depressionen und Langeweile beschäftigt, stößt man auf reiches Material, aus dem hervorgeht, dass das Gefühl, zur Wirkungslosigkeit verdammt zu sein, eines der schmerzlichsten und vielleicht fast unerträglichen Erlebnisse ist und dass der Mensch fast alles versuchen wird, um es zu überwinden - von Arbeitswut oder Drogen bis zu Grausamkeit und Mord.
    Fromm hat das Handicap-Prinzip und die Theorie des kostspieligen Signals nicht gekannt. Er hat die Ursache für diesen Drang, etwas zu bewirken, in der besonderen Lage des Menschenwesens gesehen: Das Menschenwesen ist sich seiner selbst bewusst, es ist sich bewusst, dass es von der Natur getrennt ist, es ist sich seiner Machtlosigkeit bewusst und seines Endes: das Menschenwesen weiß, dass es sterben muss. Der Drang, etwas zu bewirken, eine Spur in der Welt zu hinterlassen, soll diese Machtlosigkeit und das Gefühl der Sinnlosigkeit überwinden. Aber das ist eine philosophische Erklärung und keine naturwissenschaftliche.“
    „Mir leuchtet sie aber ein“, protestierte Juvénal.
    „Mir leuchtet sie auch ein“, sagte Mautner, „aber das ist kein Widerspruch. Wir müssen uns ja gar nicht bewusst sein, welchen biologischen Sinn eine Handlung hat. Ich esse ja auch diese Topfenkolatsche, weil sie mir schmeckt, und nicht, weil ich mir überlege, dass ich meinem Körper energiereichen Zucker zuführen muss.“
    „Also wären wir nicht von Natur aus böse, wie Hobbes das behauptet hat.“ Patrice wiegte nachdenklich den Kopf.
    „Nein. Auch Konrad Lorenz wollte uns weismachen, dass wir von einem Aggressionstrieb beherrscht

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