Flusskrebse: Roman (German Edition)
große, bunt geschmückte Lauben genügt ihm als Richtschnur, damit es das richtige Männchen wählt. Die Laube ist ein Signal für gute Gene, das das Weibchen schnell und einfach erkennen kann. Und damit so ein Signal glaubwürdig ist, muss es das Männchen etwas kosten.“
„Aber sind es denn immer nur die Männchen“, fragte Frau Saberi, „die da ihre Energie verschwenden, wie Sie sagen?“
„Das beginnt man gerade zu erforschen. Sehen Sie, Männchen produzieren viele kleine Samenzellen, Weibchen produzieren wenige große Eizellen. Darum kann ein Männchen viele Weibchen begatten, es sind eigentlich nur wenige Männchen nötig, um alle Weibchen zu begatten, und daher sind es üblicherweise die Weibchen, die unter den Männchen wählen können. Bei bestimmten Fischen zum Beispiel, bei den Seepferdchen und Seenadeln, ist es aber so, dass die Weibchen ihre Eier den Männchen übergeben. Die Seepferdchenmännchen tragen die Eier in einer Bauchtasche aus, sie übernehmen sozusagen die Schwangerschaft für die Weibchen. Mit ihrem Samen könnten sie zwar sehr viele Weibchen begatten, aber in ihrer Bauchtasche haben nur begrenzt viele Eier Platz. Darum sind es hier die Männchen, die sich die Weibchen aussuchen. Und darum sind es bei den Seenadeln und Seepferdchen die Weibchen, die um die Männer konkurrieren und sich mit bunten Signalfarben schmücken.“
Patrice wurde langsam ungeduldig: „Verzeihung, Professor, aber wo führen uns diese Überlegungen über tierisches Werbeverhalten hin?“
„Entschuldigen Sie, wenn ich Sie langweile. Beim Menschen finden wir eine ganze Menge Verhaltensweisen, die man als kostspieliges Signal deuten kann: Tätowierungen und Schmucknarben beispielweise sind ein sichtbares Zeichen, dass ihr Träger oder ihre Trägerin Schmerzen ertragen kann und über ein gutes Immunsystem verfügt. Wer kein gutes Immunsystem hat, wird vom Wundfieber hinweggerafft. Ich rede natürlich nicht von einem modernen Tattoostudio, wo man mit Desinfektionsmitteln und Gummihandschuhen arbeitet. Menschen nehmen allerhand Gifte zu sich, Alkohol und Nikotin zum Beispiel. Warum tun sie das? Die erste Zigarette und das erste Bier findet niemand angenehm. Wer sich betrinkt, begibt sich in Gefahr. Wer betrunken von einem wilden Tier angefallen wird oder ein Auto lenkt, der muss schon eine besonders gute Koordination haben. Und wer nach dem Besäufnis am nächsten Tag aufsteht und auf den Acker oder ins Büro geht, der muss schon eine gute Konstitution haben.“
Patrice nickte: „Und am Montag Morgen erzählt man sich gegenseitig, wieviel man am Abend vorher gesoffen hat.“
„Auf Vanuatu in der Südsee gibt es ein Initiationsritual für junge Männer: Sie bauen hohe Türme aus Holz, binden sich ein Seil aus Lianen um den Fuß und stürzen sich hinunter, so dass das Seil den Sturz abfängt, kurz bevor der junge Mann mit dem Kopf auf den Boden prallt.
Wer den Sturz übersteht, hat bewiesen, dass er Mut besitzt, richtig rechnen kann und ein guter Baumeister ist
, schreibt Amotz Zahavi, der als erster die Theorie vom kostspieligen Signal aufgestellt hat.“
„Aber Bungee-Jumping, das machen heutzutage in Amerika und Europa auch Frauen, habe ich im Fernsehen gesehen.“ Juvénal schien diese Tatsache eher zu missbilligen.
Frau Saberi lächelte ein wenig: „Vielleicht, weil Männer im Westen inzwischen eingesehen haben, dass es nicht so schlecht ist, sich mit mutigen Frauen zusammenzutun.“
„Ich verstehe aber immer noch nicht, was diese kostspieligen Signale mit dem Egoismus zu tun haben“. Patrice konnte seine Ungeduld nur schlecht verbergen.
„Wollen Sie vielleicht darauf hinaus“, sagte Frau Saberi, „dass Hilfe für andere so ein kostspieliges Signal sein könnte?“
„Ja, darauf will ich hinaus. Haben Sie einmal von Jane Goodall gehört? Sie hat in Tanzania viele Jahrzehnte lang Schimpansen beobachtet. Ihr ist aufgefallen, dass Schimpansen manchmal Nahrung mit anderen erwachsenen Schimpansen teilen. Und zwar teilen sie Fleisch häufiger als anderes Futter. Dabei haben sie fast nie Fleisch. Es gelingt ihnen nur ganz selten, ein kleines Kolobusäffchen oder ein Buschsschwein zu erjagen. Warum teilen sie gerade diese seltene Delikatesse mit anderen, anstatt sie für sich zu behalten? Es gehört viel Ausdauer und Geschicklichkeit dazu, um so ein Tier zu erjagen, viel mehr, als um eine Banane zu pflücken. Wer eine Banane verschenkt, beweist damit nicht viel, aber wer Fleisch zu verschenken hat,
Weitere Kostenlose Bücher