Flut: Roman (German Edition)
in ultraheißes Plasma verwandelte, das nach seiner Abkühlung wieder zu Wasser kondensierte, was wiederum dazu führte, dass sich die Lufthülle der Erde mittlerweile einem mehr flüssigen als gasförmigen Aggregatzustand näherte.
Jedenfalls war es das, was sie seit Monaten im Fernsehen und in zahllosen Zeitungsartikeln behaupteten; und ganz zweifellos auch das, was der allergrößte Teil der wissenschaftlichen Elite des gesamten Planeten glaubte. Und was selbstverständlich auch Rachel bis vor wenigen Stunden noch geglaubt hatte.
Eine durch und durch logische Erklärung: ein kosmischer Schrotschuss aus Eismeteoriten, der die Erde nachhaltig genug traf, um einen dreimonatigen Dauerregen auszulösen, lästig, unangenehm und für eine größere Anzahl von Menschen, als die Medien (und das eigene Gewissen) wahrhaben wollten, auch existenzgefährdend und tödlich, aber dennoch nichts weiter als ein natürliches Phänomen, handfest und vor allem erklärbar.
Aber wieso hatte eigentlich noch nie jemand danach gefragt, wer diesen Schrotschuss abgegeben hatte?
Was für ein Unsinn!
Rachel erlaubte sich nicht, den Gedanken auch nur einen Moment lang weiterzuverfolgen – schon weil sie das unangenehme Gefühl hatte, dass er sie auf einen Weg führen könnte, an dessen Ende eine Überzeugung stand, die ihr noch weitaus weniger gefiel als die naturwissenschaftliche Erklärung.
Stattdessen machte sie sich klar, dass sie mittlerweile wirklich auffiel, wie sie dastand, mitten im Regen und mit vollkommen verdreckter Kleidung. Die beiden Lastwagen, zwischen denen Benedikt den Wagen abgestellt hatte, gaben ihr einigermaßen Deckung, aber es stand viel zu viel auf dem Spiel, um sich darauf zu verlassen. Sie konnte die beiden Polizeiwagen, die sich hinter der Tankstelle auf die Lauer gelegt hatten, von ihrer Position aus deutlich sehen und das bedeutete umgekehrt, dass die Männer darin sie ebenfalls sehen konnten. Sie wich weiter zwischen die Wagen zurück, was ihr nicht nur die gewünschte Deckung gab, sondern auch den angenehmen Nebeneffekt hatte, dass sie halbwegs aus dem Regen heraus war.
Das Geräusch einer Tür ließ sie herumfahren. Es war jedoch nicht Benedikt, der ausgestiegen war, sondern der Fahrer eines der beiden Trucks, zwischen denen der Geländewagen stand. Der Fahrer, ein junger Mann in Jeanskleidung und mit leicht ungepflegtem Haarschnitt, war halb ausgestiegen, hatte jedoch noch einen Fuß auf dem Trittbrett und die rechte Hand auf dem Türgriff; eine Haltung, die er vermutlich für ungemein cool hielt. Überflüssig zu erwähnen, dass er rein zufällig in ihre Richtung sah.
»Hallo«, sagte er. »Ich habe Sie doch nicht etwa erschreckt?«
Rachel wusste im ersten Moment nicht einmal, ob sie ärgerlich werden oder laut loslachen sollte. Vor vierundzwanzig Stunden noch hätte sie sich Sorgen gemacht, jetzt fand sie den Kerl einfach lächerlich.
»Nein«, antwortete sie. »Und bevor Sie fragen: Ich halte nichts von Truckerromantik und ich stehe auch nicht allein hier draußen im Regen, weil ich mich mit meinem Freund gestritten habe und auf einen Ritter auf einem weißen Pferd warte.«
Allein der verdatterte Ausdruck auf dem Gesicht des jungen Burschen war die komplizierte Wortwahl schon fast wert – auch wenn sie ziemlich sicher war, dass er nicht wirklich verstand, was sie gesagt hatte. Immerhin verschwand das blöde Grinsen von seinem Gesicht. Er stieg vollends vom Trittbrett herunter und baute sich zwei Meter vor ihr und mit in die Hüften gestemmten Fäusten auf. Es sah ziemlich albern aus.
»Entschuldigung«, sagte er in einem Tonfall, als hätte er sich noch nicht ganz entschieden, ob er wütend werden oder sich in das nächstbeste Mauseloch verkriechen sollte. »Ich wollte nur freundlich sein, mehr nicht.«
Das glaubte ihm Rachel sogar. Trotz seines leicht angegammelten Äußeren wirkte er kein bisschen gefährlich. Es lag ihr auf der Zunge, sich für ihre groben Worte zu entschuldigen, aber in diesem Moment ging die hintere Tür des Landrover auf und Benedikt stieg aus. Er wirkte deutlich erschöpft, und Rachel registrierte erschrocken, dass frisches Blut an seinen Fingern klebte. Rasch machte sie einen Schritt zur Seite, damit der Trucker dieses verräterische Zeichen nicht sah.
Allerdings war es wahrscheinlich gar nicht nötig. Benedikts Erscheinen hatte eine ungeahnte Wirkung auf den jungen Lkw-Fahrer. Im ersten Moment wirkte er einfach nur verwirrt, vielleicht ein ganz kleines bisschen
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