Flut: Roman (German Edition)
ohne ihr Zutun in Bewegung setzen, aber diesmal weckte diese spontane Reaktion ihren Trotz. Sie drehte sich zwar herum und machte einen einzelnen Schritt, blieb aber dann wieder stehen und funkelte ihn mit einem Zorn an, den sie nicht wirklich empfand, von dem sie aber überzeugt war, ihn empfinden zu sollen.
»War das nötig?«, fragte sie.
»Ja«, antwortete Benedikt. »Keine Angst, er wird es überleben.« »Er hätte uns nicht verraten«, sagte Rachel bitter.
»Vermutlich nicht«, sagte Benedikt. »Aber vielleicht doch. Außerdem ist er hier sicherer. Steig ein.« Er wiederholte seine auffordernde Geste, aber diesmal war es eindeutig ein Befehl.
Rachel wollte sich erneut widersetzen, aber mit einem Mal hatte sie nicht mehr den Mut dazu. Da war plötzlich ein sonderbares Glitzern in seinen Augen und viel deutlicher noch etwas in seiner Ausstrahlung, das sie warnte. Es war tatsächlich so, wie sie gerade gedacht hatte: Benedikt hatte sich nicht verändert. Aber aus einem Grund, den sie selbst vielleicht am allerwenigsten verstand, hatte sie ihn noch nie so gesehen, wie er wirklich war. Mit einem Ruck drehte sie sich herum, stieg in die Fahrerkabine hinauf und rutschte auf den Beifahrersitz. Benedikt folgte ihr, knallte die Tür hinter sich zu und warf eine Brieftasche und einen Schlüsselbund mit einem albernen Anhänger auf das Armaturenbrett vor sich. Sie hatte nicht einmal bemerkt, dass er beides seinem legitimen Besitzer abgenommen hatte.
»Du willst doch nicht wirklich mit der Kiste fahren?«, fragte Rachel.
»Warum nicht?« Benedikts Blick zeigte einen Ausdruck leiser Hilflosigkeit, während er über das Armaturenbrett des Lkw tastete. Rachel konnte ihn gut verstehen. Zumindest in ihren Augen sah der Truck nicht weniger kompliziert aus als der Hubschrauber, mit dem sie vorhin geflogen waren. »Der Junge hatte nicht einmal Unrecht, weißt du? In diesem Ding werden sie uns wahrscheinlich zuallerletzt vermuten.«
Er steckte den Schlüssel ins Schloss und schaltete die Zündung ein, ohne den Motor jedoch schon zu starten. Stattdessen beugte er sich zur Seite und begann im Handschuhfach zu kramen.
»Wonach suchst du?«, erkundigte sich Rachel.
»Die Frachtpapiere«, antwortete Benedikt. »Ich muss doch wissen, wohin wir fahren.«
»Ich verstehe«, sagte Rachel spöttisch. »Damit die Ware auch pünktlich ankommt.«
»Ganz genau.« Benedikt hatte gefunden, wonach er gesucht hatte, und schwenkte fast triumphierend eine mit Ölflecken übersäte Plastikhülle, in der sich offensichtlich die Frachtpapiere befanden.
»Das ist nicht dein Ernst«, sagte Rachel ungläubig.
Benedikt hörte auf, mit den Papieren herumzuwedeln, und warf stattdessen einen befriedigten Blick auf die handschriftlich eingetragenen Daten auf dem Frachtbrief. »Mein voller Ernst«, sagte er. »Eine bessere Tarnung hätte ich mir selbst kaum ausdenken können. Brüssel klingt doch gar nicht schlecht.«
»Hm«, machte Rachel. »Ich kann mich täuschen, aber ich glaube nicht, dass Brüssel auf dem direkten Weg nach München liegt.«
»Nein«, antwortete Benedikt, plötzlich mit großem Ernst. »Aber es hat einen Flughafen. Selbst mit dieser Kiste sind wir in gut zwei Stunden dort. Und mit ein bisschen Glück in weiteren zwei oder drei Stunden in München. Mit dem Wagen dauert es auf jeden Fall länger.« Er sah sie fragend an. »Wie lange brauchen wir vom Flughafen bis zu deiner Freundin?«
»Das kommt ganz darauf an«, antwortete Rachel ausweichend.
»Worauf?« Benedikt wartete einige Augenblicke vergeblich auf eine Antwort. Sein Blick wurde traurig. »Du traust mir immer noch nicht.«
Traute sie ihm? Rachel musste sich eingestehen, dass sie die Antwort auf diese an sich ganz einfache Frage nicht kannte; nicht wirklich. Vielleicht waren es auch zwei Antworten, die einander zugleich ausschlossen und bedingten. Die eine Antwort war ein ganz klares Nein. Wie konnte sie ihm trauen? Sie kannte ihn erst seit wenigen Stunden und in dieser kurzen Zeit hatte sich ihr Leben nicht nur auf weitaus radikalere Weise verändert, als sie es noch gestern auch nur für möglich gehalten hätte, sie hatte auch gesehen, wozu er imstande war – und das meiste davon waren Dinge, die sie mit blankem Entsetzen erfüllten. Und zugleich war da etwas in ihr, das ihm bedingungslos traute und das sie veranlasste, ebenfalls Dinge zu tun – oder wenigstens geschehen zu lassen –, die sie mit schierem Entsetzen erfüllten.
»Ich weiß es nicht«, antwortete
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