Flut: Roman (German Edition)
sie wahrheitsgemäß.
»Wenigstens bist du ehrlich.« Benedikt klang nicht verletzt, sondern allenfalls ein wenig enttäuscht. »Was muss ich noch tun, um dir zu beweisen, dass ich die Wahrheit sage?«
»Nichts«, antwortete Rachel. »Ich bin schon zufrieden, wenn du nicht mit einem Schraubenzieher auf mich losgehst oder irgendeinem anderen spitzen Gegenstand.«
Diesmal wirkte Benedikt verletzt. Er sagte nichts.
»Diese Männer waren deine Kameraden.«
»Nein.« Benedikt wandte mit einem Ruck den Kopf ab und starrte durch die Windschutzscheibe in den Regen hinaus. »Sie waren meine Freunde. Fast so etwas wie meine Familie. Wir haben uns alle gegenseitig mindestens einmal das Leben gerettet.«
»Das sah vorhin nicht so aus.«
»Du verstehst immer noch nicht, worum es geht.« Benedikt schloss für einen Moment die Augen. Seine Finger strichen über das Lenkrad und zeichneten ein kompliziertes Schlangenmuster nach, das gar nicht da war. »Ich bin nicht einmal sicher, ob ich es selber verstehe.«
Der letzte Satz galt nicht wirklich ihr. Sie tat so, als hätte sie ihn nicht gehört. Wahrscheinlich spielte es ohnehin keine Rolle. Benedikt wollte reden, aber es war vermutlich ohne Belang, ob sie ihm zuhörte oder nicht. Seine Fingerspitzen glitten weiter über das mit billigem Kunstleder bezogene Lenkrad und ihr fiel erst jetzt auf, dass die lockere Haltung, in der er scheinbar dasaß, nur vorgetäuscht war; in Wahrheit war jeder Muskel – und vor allem jeder Nerv – in seinem Körper bis zum Zerreißen angespannt und vermutlich litt er Höllenqualen.
Ihr schlechtes Gewissen regte sich. Was brachte sie eigentlich auf die Idee, das Recht auf alle Leiden der Welt für sich ganz allein gepachtet zu haben? Benedikt hatte gerade drei oder vier seiner Freunde verloren und im Gegensatz zu ihr konnte er vollkommen sicher sein, dass sie tot waren. Und mindestens einen von ihnen hatte er mit seinen eigenen Händen lebensgefährlich verletzt.
»Entschuldige«, sagte sie.
»Da gibt es nichts zu entschuldigen.« Benedikt sah sie immer noch nicht an, sondern starrte weiter aus leeren Augen in den Regen hinaus. »Du hast ja Recht. Ich an deiner Stelle würde mir auch nicht trauen. Hauptsache, wir finden deine Freundin und bringen sie in Sicherheit, bevor die anderen sie finden – und das werden sie.«
Er richtete sich auf, startete den Motor und warf einen prüfenden Blick auf die Armaturen vor sich. Rachel verstand herzlich wenig von dem, was sie sah, aber sie erkannte immerhin, dass die Tankanzeige auf »voll« stand, was bedeutete, dass sie ohne anzuhalten bis zu ihrem Ziel durchfahren konnten. Und so bizarr ihr sein Vorschlag noch vor zwei Minuten vorgekommen war, erschien er ihr nun beinahe mit jedem Moment logischer. De Ville und seine Leute würden sie tatsächlich zuallerletzt in einem Vierzigtonnenlaster vermuten, der sich im Schneckentempo über die Autobahn quälte, und noch dazu in die falsche Richtung.
Während Benedikt einen der insgesamt drei Schalthebel betätigte und mit einem hörbaren Krachen den Gang einlegte, unterzog sie die Fahrerkabine einer eingehenden Musterung. Was sie sah, passte auf so absurd-komische Art zu dem albernen Asphaltcowboy, der jetzt bewusstlos auf der Rückbank des Landrover lag, dass sie diesen Wagen seinem Besitzer vermutlich auch dann hätte zuordnen können, wenn er nicht vor ihren Augen daraus ausgestiegen wäre. Die Sitzbänke waren mit imitierter Kuhhaut bezogen und das Armaturenbrett hatte einmal ein imitiertes Edelholzfurnier aus Plastik gehabt, das nun zum größten Teil abgeblättert war. In Griffweite über dem Fahrersitz war ein CB-Funkgerät befestigt und auf dem Armaturenbrett standen nicht nur eine ausgewachsene Kaffeemaschine, sondern auch ein zwanzig mal zwanzig Zentimeter großer Fernseher mit ausziehbarer Antenne, die an zwei Stellen mit schwarzem Isolierband geklebt war. In dem Kassettenarchiv daneben befanden sich ausschließlich Bänder mit Country-Musik und selbstverständlich gab es auch die obligate Blumenvase mit einer Plastikrose, die man elektrisch beleuchten konnte. Rachel musste sich nicht herumdrehen, um zu wissen, dass an der Wand der Schlafkabine hinter ihnen Pin-ups klebten.
»Manche Menschen sind schon komisch, wie?«, grinste Benedikt. Ihr prüfender Blick und vor allem das dazugehörige Stirnrunzeln waren ihm nicht entgangen.
»Und ihre Autos erst.« Rachel nickte demonstrativ. »Dir ist doch klar, dass wir mit dieser Kiste eine Spur
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