Flut: Roman (German Edition)
konnte: kein lodernder Feuersturm, der die menschliche Zivilisation auslöschte, keine Flammen, die vom Himmel regneten, keine brennenden Gebirge und verdampften Ozeane, sondern ewiges Zwielicht und eine Stille, die so allumfassend und niederschmetternd war, dass sie beinahe körperlich schmerzte. Ganz plötzlich wusste sie, dass das Ende so aussehen würde, wenn es wirklich kam; vielleicht die schlimmste aller vorstellbaren Möglichkeiten.
Sie versuchte den Gedanken zu verscheuchen, aber es gelang ihr nicht. Wie um sich selbst zu beweisen, wie albern diese Vorstellung war, stampfte sie ein paar Mal mit den Füßen, doch das Ergebnis war nicht das, was sie sich erhofft hatte: Sie verursachte ein Geräusch, aber die Laute schienen gleichsam vor ihr zu fliehen, huschten wie unsichtbare flüchtende Tiere in alle Richtungen davon und verkrochen sich in der Stille, die sich zwischen den wie poliertes Eisen aussehenden Bäumen eingenistet hatte. Keine Echos. Nichts kam zu ihr zurück. Was hatte sie erwartet? Dass Gott resigniert mit den Schultern zucken und sich herumdrehen und weggehen würde, weil sein kleiner Trick nicht funktioniert hatte?
Gott?
Verdammt, sie benahm sich nicht nur schon wie Benedikt, sie dachte schon wie er! Es wurde wirklich Zeit, dass sie mit diesem Unsinn aufhörte, sonst bestand nämlich die Gefahr, dass sie die Wahl nicht mehr zwischen zwei, sondern zwischen drei Alternativen hatte: erschossen werden, überleben oder in einer Klapsmühle enden.
Wo blieb Benedikt?
Sie ging wieder zur Straße zurück, wagte es aber auch jetzt nicht, ganz zwischen den Bäumen hervorzutreten, sondern blieb einen Meter vom Waldrand entfernt stehen und sah angestrengt zu dem kleinen Hof hinüber. Die Lichter hinter den winzigen Fenstern brannten noch immer, aber aus dieser Entfernung und durch den dichter gewordenen Vorhang aus Regen hinweg betrachtet hatten sie mit einem Mal kaum noch etwas Tröstliches, sondern wirkten ebenso einsam und verloren, wie sie selbst sich fühlte. Wie in einer vollkommenen Umkehrung der Situation schienen sie kein Zeichen von unzerstörbarer Hoffnung und zähem Überlebenswillen mehr, sondern ein Winken des Abschieds, das ihr nicht länger neue Kraft gab, sondern ganz im Gegenteil klarmachte, wie sinnlos jede menschliche Anstrengung am Ende sein musste. Es war ganz egal, was man tat, wer etwas tat und mit welcher Absicht und welchen Mitteln, am Ende würde die Dunkelheit siegen, ganz einfach, weil sie immer da gewesen war und immer da sein würde, weil sie das ursprüngliche eine Element war, das den Kosmos beherrschte und das gar nicht sein musste, um zu existieren. Selbst Gott musste eines Tages vor der Dunkelheit kapitulieren. Das Nichts würde am Ende auch ihn verschlingen.
Sie glaubte eine Bewegung wahrzunehmen und zwang sich mit aller Kraft, sich darauf zu konzentrieren, schon um den hässlichen Gedanken zu entgehen, die ihr zu schaffen machten. Obwohl sie immer noch das absurde Gefühl hatte, aus den Wolken heraus beobachtet zu werden, wagte sie sich einen Schritt weiter in den Regen hinaus und strengte die Augen an, um ihren Blick auf den Bauernhof zu fokussieren.
Sie hatte sich nicht getäuscht. Es vergingen noch einige Sekunden, aber dann sah sie, dass sich die Tür der Scheune geöffnet hatte und ein weißer Kleinwagen herauskam. Er fuhr so langsam, dass sie im ersten Moment der Überzeugung war, dass irgendetwas damit nicht stimmte, aber dann wurde ihr klar, dass der Fahrer wohl Angst hatte, im Schlamm auf dem Hof stecken zu bleiben. Erst als er die Straße erreichte und in ihre Richtung abbog, wurde er etwas schneller, aber nicht viel. Der Wagen pflügte über den löcherigen Asphalt wie ein kleines Boot, das eine schäumende Flutwelle hinter sich zurückließ, und fuhr in leichten Schlangenlinien. Zwei Meter vor ihr hielt er an und sie sah, wie sich das verschwommene Schemen hinter der Windschutzscheibe zur Seite beugte, um die Beifahrertür zu öffnen. Immer noch von dem vollkommen grundlosen, aber dennoch immer stärker werdenden Gefühl erfüllt, einen schweren Fehler zu begehen, lief sie los, umrundete das Heck des Wagens und stieg ein. Es war tatsächlich Benedikt und ihr erster Blick galt ganz instinktiv seinen Händen, die auf dem billigen Plastiklenkrad so groß wirkten, dass es schien, als müsse er Acht geben, es nicht mit einer unbedachten Bewegung zu zerbrechen. Sie waren nass, wie alles an ihm, aber es klebte kein Blut daran.
»Mach die Tür zu«, sagte
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