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Flut: Roman (German Edition)

Flut: Roman (German Edition)

Titel: Flut: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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fließen sollte, erstreckte sich jetzt die Oberfläche eines ausgedehnten, täuschend ruhig daliegenden Sees. Er begann unmittelbar vor ihren Füßen und war gute zwanzig Meter breit, was exakt der Breite der Lichtung entsprach, die eigentlich hier sein sollte. Nach rechts und links erstreckte er sich, so weit sie sehen konnte, was bei den herrschenden Lichtverhältnissen allerdings nicht besonders weit war. Ungefähr in der Mitte dieses Sees, der gar nicht da sein sollte, erhob sich das obere Drittel eines einfachen Holzkreuzes aus den braunen Fluten. Rachel erkannte es wieder und der Anblick des schlichten Kruzifixes mit der geschnitzten Marienstatue daran diente ihr nicht nur zur Orientierung, sondern ließ auch gewisse Rückschlüsse auf die Tiefe des neu entstandenen Sees zu. Er konnte kaum tiefer als dreißig Zentimeter sein.
    »Aha«, sagte Benedikt, während er hinter ihr aus dem Wald heraus- und mit einem schnellen Schritt neben sie trat. »Ich will dir nicht zu nahe treten, aber du hast vielleicht etwas falsch verstanden. Ich bin nicht Noah. Ich habe weder eine Arche noch, irgendein anderes Schiff.«
    Rachel verstand sehr wohl, was er meinte, aber sie fand seinen Humor im Moment reichlich deplatziert.
    »Als ich das letzte Mal hier war, floss hier noch der Bach«, sagte sie.
    »Derselbe wie in Castellino?«
    Rachel nickte.
    »Warum sind wir ihm dann nicht gleich gefolgt?«, fragte Benedikt in nörgelndem Ton.
    »Weil wir dann mindestens zwei Stunden länger unterwegs gewesen wären«, antwortete Rachel. Sie zog eine Grimasse. »Scheint, als hätte es sich nicht gelohnt. Von hier aus ist es nicht mehr weit. Aber der Aufstieg liegt drüben auf der anderen Seite. Völlig unmöglich, dort hinüberzukommen.« Sie seufzte. »Die beste Abkürzung ist wohl tatsächlich der Weg, den man kennt.«
    »Was spricht gegen den Weg, dem wir bislang gefolgt sind?«, erkundigte sich Benedikt. Sein Blick glitt taxierend über die glatte, scheinbar vollkommen reglos daliegende Wasserfläche. Der Eindruck täuschte. Selbst Rachel spürte die furchteinflößende Kraft, mit der sich das Wasser unter der Oberfläche bewegte. Ein einziger Schritt in diesen tückischen, blinden Spiegel hinein bedeutete das sichere Ende. »Bis auf die beiden Kerle unten im Tal. Wir könnten sie vermutlich umgehen, wenn wir ein bisschen vorsichtig sind.«
    »Gute zwei Stunden Fußmarsch«, antwortete Rachel leise. »Ganz davon abgesehen, dass der Weg nicht zur Berghütte führt. Jedenfalls nicht direkt.« Sie hob die Schultern und versuchte ein resignierendes Lächeln auf ihre Lippen zu zwingen, aber es blieb wohl bei dem Versuch. »Ich fürchte, vor Mitternacht werden wir kaum ankommen. Du hast doch keine Angst – nachts und allein im dunklen Wald?«
    »So viel Zeit haben wir nicht.« Benedikt wirkte besorgt. Sein Blick wurde für einen Moment unstet, tastete nach links und rechts und wieder zurück. »Dieses Holzkreuz da drüben.« Er deutete auf das geschnitzte Kruzifix, das scheinbar direkt aus den Fluten ragte. »Auf welcher Seite steht es?«
    Rachel setzte automatisch zu einer Antwort an, runzelte dann aber nur die Stirn und rettete sich in ein halb verlegenes, halb schuldbewusstes Lächeln. »Rechts«, sagte sie. »... glaube ich.«
    »Du glaubst?«
    Tatsache war, dass sie ganz und gar nicht sicher war. Sie war so oft hier entlanggegangen, dass das hölzerne Kruzifix längst zu einem Teil der Landschaft geworden war, dem sie kaum mehr Beachtung schenkte als einem Baum oder einem Strauch. Sie wusste nur, dass sie nach links abbiegen und einen knappen halben Kilometer weit dem Bachlauf folgen musste, nachdem sie es erreicht hatte. Alles andere war bisher nicht wichtig gewesen.
    »Ich weiß es nicht«, gestand sie. »In der Mitte des Weges. Dicht am Bach.«
    Benedikt blickte einen Augenblick lang nachdenklich nach links, in die Richtung, in die sie gedeutet hatte. Der Bachlauf beschrieb dort eine weit ausholende Kurve und verschwand hinter dem Wald, der an dieser Stelle nicht anstieg, sondern flach wie ein Brett war – wenn es sich auch, um bei dem Vergleich zu bleiben, im Augenblick eher um das Nagelbrett eines Fakirs zu handeln schien.
    »Wie geht es dahinter weiter?«, fragte er.
    »Ein kleiner See«, antwortete Rachel achselzuckend. »Dahinter liegt ein Wasserfall. Nicht hoch. Vier, vielleicht fünf Meter. Man kann bequem daneben nach oben klettern.« Sie schwieg einen Moment und fügte dann hinzu: »Jedenfalls war es bisher

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