Flut: Roman (German Edition)
andere, unsichtbare Düsternis zu liegen, als spüre sie die Anwesenheit von etwas Unsichtbarem und unsagbar Bösem, das versteckt in den Schatten lauerte und nur darauf wartete, sie anzuspringen.
»Dort unten!«
Auch Benedikt hatte die Stimme instinktiv zu einem Flüstern gesenkt, das sie mehr erriet, als dass sie die beiden Wörter verstand. Langsam, vermutlich um sich nicht durch eine hastige Bewegung zu verraten, hob er die Hand und deutete in das Tal hinab.
Obwohl Rachel eine ungefähre Vorstellung von dem hatte, wonach sie suchte, dauerte es eine Weile, bis sie die beiden Gestalten erkannte, die dort unten im Schutz eines Felsens auf der Lauer lagen. Sie trugen erdfarben und grün gefleckte Tarnanzüge und hätten sie den Wald auf dem normalen Weg verlassen, sie hätten nicht den Hauch einer Chance gehabt, die beiden Männer zu sehen. Rachel konnte nicht erkennen, ob sie bewaffnet waren, aber im Grunde bestand kein Zweifel daran. So wenig, wie sie sich fragen musste, wer diese beiden Männer waren oder was sie wollten.
»Jetzt sag noch mal, dass deine Ahnungen nichts wert sind«, murmelte Benedikt.
Rachel sah ihn verstört an. Wie leicht wäre es gewesen, sich selbst einzureden, dass er Recht hatte und ihr unheimlicher sechster Sinn – »Präkognition« hatte De Ville es genannt – sie vor diesen beiden Männern dort unten hatte warnen wollen. Und wie falsch. Wenn sie eines wusste, dann, dass die mörderische Feindseligkeit, die sie immer noch wie ein knisterndes elektrisches Feld überall auf der Haut spürte, nichts mit den beiden dort unten zu tun hatte.
Aber sie schwieg.
Benedikt hätte ihr im Moment vermutlich auch nicht zugehört. Für eine geraume Weile konzentrierte er sich so sehr auf die beiden Männer unter ihnen, dass ihr der völlig alberne Gedanke kam, er könnte versuchen, sie durch bloßes Anstarren in eine Art Tiefschlaf zu versetzen. Dann schien er endlich zu einem Entschluss gekommen zu sein, denn er richtete sich wieder auf, drehte sich zu ihr herum und trat gleichzeitig wieder tiefer in den Wald hinein.
»Du wartest hier«, sagte er.
Diesmal war es keine Bitte, sondern so eindeutig ein Befehl, dass Rachel ganz automatisch auf Abwehr schaltete.
»Ach?«, fragte sie trotzig. »Worauf?«
»Dass ich dir ein Zeichen gebe oder zurückkomme und dich hole«, antwortete Benedikt. Ihren hörbar aggressiven Ton nahm er gar nicht zur Kenntnis. Er schien auch nicht einmal die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass er nicht zurückkommen oder keine Gelegenheit haben würde, ihr ein Zeichen zu geben. Und er war wohl auch nicht in der Stimmung, weiter mit ihr zu diskutieren, denn er drehte sich ohne ein weiteres Wort herum, duckte sich und schien mit dem Regen und dem grauen Licht zu verschmelzen, während er aus dem Wald hinaustrat.
Kapitel 13
Es vergingen nur wenige Minuten, bis Benedikt zurückkehrte. Rachel konnte jedoch nicht sagen, wie viele – irgendwo auf halbem Weg zwischen Brüssel und hier hatte sich ihr Zeitgefühl endgültig verabschiedet und ihre innere Uhr war so gründlich aus dem Takt geraten, dass sich Sekunden manchmal zu Ewigkeiten zu dehnen schienen und sie dann wieder verwirrt die Augen öffnete und um sich blinzelte, während sie sich fragte, was in den letzten Augenblicken geschehen war und vor allem, wie viele es gewesen waren. Der unsichtbaren Linie nach zu schließen, unter der die Kälte von ihren Füßen aus langsam an ihren Waden emporkroch, konnten es kaum mehr als zehn oder allerhöchstens fünfzehn Minuten gewesen sein. Sie war wieder in Richtung des Weges zurückgegangen, hatte ihn jedoch nicht betreten und sich auch dem Ausgang zum Tal nicht weiter als auf fünf oder sechs Meter genähert. Wie sie sich selbst – zumindest für eine kurze Weile erfolgreich – einredete, aus dem einzigen Grund, um nicht von den beiden Männern dort unten im Tal gesehen zu werden und sich selbst und vor allem Benedikt dadurch in Gefahr zu bringen, in Wahrheit aber wohl eher (und auch darüber war sie sich völlig im Klaren, brachte es aber irgendwie immer noch fertig, die Augen vor dieser Erkenntnis zu verschließen), weil sie doch eine ziemlich konkrete Vorstellung von dem hatte, was Benedikt dort unten tun würde. So war sie zwischen den nassen, wie polierter Kunststoff glänzenden Stämmen des fast völlig entlaubten Waldes stehen geblieben und hatte sich die Zeit damit vertrieben, vergeblich nach einem trockenen Flecken zu suchen, einem toten Winkel zwischen den
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