Flut: Roman (German Edition)
unsichtbaren Augen, belauert.
Das war nicht komisch. Sie hatte so eine Szene wie diese hundert Mal im Film gesehen und tausend Mal in Büchern gelesen, aber die Wirklichkeit war anders. Plötzlich hatte sie Angst. Sie wusste mit ziemlicher Sicherheit, dass sie allein im Haus war. Die Stille war zu absolut und sie hätte gespürt, wenn sich jemand irgendwo versteckt hätte, aber allein der Gedanke, dass jemand hier gewesen war, jemand in ihrer Abwesenheit ihre Schränke durchwühlt, in ihren Habseligkeiten herumgeschnüffelt hatte, hatte etwas Unheimliches. Etwas, das ihr Angst machte.
Sie schalt sich selbst in Gedanken eine Närrin, stieß sich vom Fensterbrett ab und durchquerte das Schlafzimmer so schnell es gerade noch ging, ohne dass sie wirklich rannte. Noch immer im Morgenmantel, lief sie die Treppe hinab, eilte zum Schreibtisch und hob den Telefonhörer ab, um nun doch die Polizei anzurufen. Wahrscheinlich war es falscher Alarm. Wären es Einbrecher gewesen, hätten sie sich nicht solche Mühe gemacht, ihre Spuren zu verwischen, sondern alles durchwühlt, mitgenommen, was nicht niet- und nagelfest war, und den Rest vermutlich zertrümmert. Sie hatte sogar eine ziemlich konkrete Vorstellung davon, um wen es sich bei den ungeladenen Besuchern gehandelt hatte, aber das machte es nicht besser, sondern schürte ihren Zorn sogar noch.
Sie wählte die 110 und lauschte gute fünf oder sechs Sekunden lang in den Hörer hinein, ehe ihr auffiel, dass das Freizeichen nicht kam Rachel drückte auf die Gabel, wählte die Notrufnummer noch einmal und hörte auch diesmal nichts.
Sie sah auf das Telefon hinab. Das Display war leer. Das winzige rote Lämpchen auf dem Gerät leuchtete, aber sie bekam keinen Anschluss. Sie hängte ein, nahm den Hörer mit einer bedächtigen Bewegung wieder ab und wählte zum dritten Mal die Nummer der Polizei, mit dem gleichen Ergebnis. Ihr Herz begann heftiger zu klopfen. Sie verfluchte sich selbst dafür, aber sie sah, wie ihre Hand, die den Telefonhörer hielt, immer stärker zu zittern begann. Das hatte jetzt nichts mehr mit Paranoia zu tun, nicht einmal mehr mit Hysterie. Hier stimmte irgendetwas nicht!
Sie hängte abermals ein, zählte in Gedanken langsam bis fünf, nahm den Hörer wieder ab und wählte die erstbeste Nummer, die ihr einfiel – mit dem gleichen Ergebnis. Ihr Telefon blieb stumm. Die Leitung war tot.
Rachel trat vom Schreibtisch zurück und sah sich mit klopfendem Herzen um. Plötzlich fielen ihr tausend Dinge ein, von denen sie nicht mehr sicher war, ob sie sie tatsächlich so zurückgelassen hatte. Die Bücher auf dem Regal schienen in der richtigen Reihenfolge zu stehen, aber taten sie es wirklich? War der Sender im Radio der gleiche, den sie am letzten Abend gehört hatte? Sie öffnete die Schreibtischschublade und musterte ihren Inhalt, um zu einem klareren Ergebnis zu kommen. Alles sah aus, wie es aussehen sollte. Und dennoch: Sie wusste mit unerschütterlicher Gewissheit, dass jemand hier gewesen war. Jemand, der nicht hierher gehörte. Und vielleicht wiederkommen würde.
Nach einem letzten nervösen Blick in die Runde lief sie zum zweiten Mal ins Schlafzimmer hinauf, zog sich an und verbrachte zwei oder drei schreckliche Minuten damit, vergeblich nach den Wagenschlüsseln zu suchen. Sie hatte sie irgendwo hingelegt, während sie auf das Taxi wartete, aber nun in ihrer Panik vergessen, wohin. Schließlich wurde sie fündig, klaubte im Vorbeigehen den immer noch triefnassen Trenchcoat vom Sessel und warf ihn sich über die Schulter. Durch die geöffnete Terrassentür trat sie in den immer noch strömenden Regen hinaus und lief gebückt die wenigen Schritte zur Garage.
Der Wagen stand mit offenem Verdeck da, so wie sie ihn zurückgelassen hatte. Als sie das letzte Mal hier gewesen war, hatte draußen strahlender Sonnenschein geherrscht und die Sintflut war noch nicht hereingebrochen. Sie versuchte jetzt gar nicht mehr, sich einzureden, dass sie nicht in Panik war, sondern konzentrierte sich lieber darauf, irgendwie damit fertig zu werden und das Garagentor von innen zu öffnen – ein Vorhaben, das gar nicht so leicht zu bewerkstelligen war. Als sie es endlich geschafft hatte, war sie fast schon wieder genauso nass wie vorhin, als sie nach Hause gekommen war, denn der Wind peitschte den Regen fast waagerecht durch das offene Garagentor zu ihr herein.
Rachel fluchte leise, eilte zum Wagen zurück und brach sich zwei Fingernägel bei dem Versuch ab, das Dach in
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