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Flut: Roman (German Edition)

Flut: Roman (German Edition)

Titel: Flut: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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spürte, und der Schrecken, den sie durchgestanden hatte, aber jeder andere würde diesen Ausdruck anders deuten. Nein, sie kam zu dem Schluss, dass sie in diesem Zustand unmöglich irgendwo hingehen und erzählen konnte, was ihr widerfahren war. Selbst wenn sie auf einen Polizeibeamten traf, der sie nicht kannte oder wenigstens ihr Bild in der Zeitung gesehen hatte, würde es nur Minuten dauern, bis man erfuhr, wer sie war. Und sie konnte sich gut vorstellen, wie es weiterging. Die Beamten würden höflich sein, zuvorkommend, sie würden sie nach Hause begleiten, ihr Haus durchsuchen und ihr versichern, dass alles in Ordnung sei. Und insgeheim würden sie sie für eine hysterische Ziege halten, die Geschmack daran gefunden hatte, ihr Gesicht auf den Titelblättern der Zeitschriften zu sehen, und sich nun eine neue Geschichte ausdachte. Oder einfach nur hysterisch war, was auf dasselbe hinauslief.
    Vielleicht war sie es ja. Nein – Rachel kam zu dem Schluss, dass sie in diesem Zustand unmöglich unter Menschen gehen konnte, nicht bei der Geschichte, die sie zu erzählen hatte. Sie wandte sich vom Spiegel ab und ging erneut ins Bad hinauf. Dort verwandte sie knappe zehn Minuten darauf, sich mit Hilfe eines Föhns und ihrer Schminkutensilien wieder in ein menschenähnliches Wesen zu verwandeln, ging dann noch einmal ins Schlafzimmer und unterzog den Kleiderschrank einer zweiten, sehr viel aufmerksameren Musterung als zuvor. Das Ergebnis beunruhigte sie. Sie war sich tatsächlich nicht mehr sicher, ob nicht doch alles an Ort und Stelle war – ganz genau so und vor allem unberührt, wie sie es zurückgelassen hatte. Sie konnte nicht einmal sagen, welcher Gedanke sie mehr beunruhigte: dass tatsächlich jemand hier gewesen war oder dass sie sich das alles nur eingebildet hatte. Sie hatte eine verdammt aufregende Woche hinter sich. Sie hatte jedes Recht der Welt, nervös zu sein, sogar überempfindlich, aber sie würde sich nicht gestatten, hysterisch zu werden. Das war das Allerletzte, was sie sich gestatten würde!
    Draußen hielt ein Wagen. Daran war an sich nichts Ungewöhnliches. Nicht einmal zu dieser Uhrzeit und bei der herrschenden Witterung, aber ihre Sinne arbeiteten offensichtlich immer noch mit mindestens hundertzwanzig Prozent ihrer normalen Leistung, und Rachel drehte sich fast ohne ihr Zutun herum und trat ans Fenster, um hinauszusehen. Sie war fast davon überzeugt, dass es wieder der kleine blaue Opel ihres aufdringlichen Retters war (Benedikt Darkov  … was für ein seltsamer Name), doch stattdessen erblickte sie einen unauffälligen schwarzen Kombi, einen Volvo, vielleicht auch einen großen Mercedes, so genau konnte sie das bei der schlechten Sicht nicht sagen, der ziemlich genau an der gleichen Stelle angehalten hatte wie der Opel zuvor. Die beiden hinteren Türen wurden geöffnet und zwei Gestalten in schwarzen Regenmänteln stiegen aus. Die eine entfernte sich nach rechts aus ihrem Blickfeld, die andere blieb trotz des strömenden Regens reglos stehen und sah zu ihr hoch.
    Natürlich wusste Rachel, dass der Mann sie hier oben hinter der Scheibe unmöglich sehen konnte. Sie hatte kein Licht eingeschaltet und der Regen platschte ihm direkt ins Gesicht. Trotzdem prallte sie erschrocken ein kleines Stück zurück und schlug die Hand vor den Mund, wie um einen Schrei zu unterdrücken. Der Mann dort unten konnte sie nicht sehen, aber er sah eindeutig in ihre Richtung. Er beobachtete das Haus. Und im gleichen Moment setzte sich auch der Wagen wieder in Bewegung und fuhr, zu langsam, wie es ihr vorkam, davon. Also gut, es hatte keinen Sinn mehr, sich selber etwas vorzumachen. Hier geschah etwas. Etwas höchst Seltsames und Beunruhigendes. Und egal, ob es nun tatsächlich etwas mit ihr zu tun hatte oder nicht, sie verlor nichts, wenn sie davon ausging, dass es so war.
    Sie beobachtete die Gestalt vor dem Haus noch einige Sekunden lang reglos, dann drehte sie sich um, trat wieder an den Schrank heran und nahm den Regenmantel vom Bügel. Auf dem Weg nach unten zog sie ihn an. Sie warf nicht einmal einen Blick in Richtung Haustür, sondern wandte sich sofort nach links, entriegelte die Terrassentür und schlüpfte, eine letzte Sekunde lang zögernd, hindurch.

Kapitel 2
    Wind und Kälte erwarteten Rachel wie alte, aber nicht unbedingt gute Freunde und die Sicht schien noch einmal schlechter geworden zu sein. Sie konnte kaum die Hecke am anderen Ende des Gartens erkennen, obwohl sie weniger als zwanzig Meter

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