Flut: Roman (German Edition)
der Kaffeetasse und trank einen weiteren großen Schluck.
Der Fernseher erfüllte das Zimmer mit der Illusion von Leben und Geräuschen, die sich im ersten Moment ebenso beharrlich weigerten, irgendeinen Sinn zu ergeben wie die bunten Comic-Abenteuer zuvor – und als sie es schließlich taten, waren sie auch nicht viel erbaulicher.
Rachel bedauerte es mittlerweile fast, den Fernseher eingeschaltet zu haben. Sie hatte nach ein wenig Abwechslung gesucht, aber das war eine dumme Idee gewesen. Die Wirklichkeit hatte sie wieder eingeholt und letzten Endes war sie vor einer Woche von hier verschwunden, um vor genau dieser Wirklichkeit davonzulaufen – auch wenn sie sehr gut wusste, dass das nicht möglich war. Der Fernseher brachte das, woraus das Programm seit drei Wochen (ausgenommen vielleicht am Sonntagmorgen) fast ausschließlich bestand: Katastrophenmeldungen. Zehntausend Obdachlose nach einer Überschwemmung in Chile, Hunderte von Toten nach dem Bruch eines Staudamms in China, ein Vertreter irgendeiner landwirtschaftlichen Vereinigung, deren Name ihr zu kompliziert (und zu hochtrabend) war, um ihn sich zu merken, der mit sorgenvoller Miene die schlimmste Missernte der Neuzeit prophezeite, wenn sich das Wetter nicht bald besserte, und prophylaktisch schon einmal nach staatlicher Hilfe für die Landwirte rief, die in ihrer Existenz bedroht seien; in einem halben Dutzend Städte war der Notstand ausgerufen worden, weil der Dauerregen der letzten Wochen die Kanalisation überforderte und das öffentliche Leben langsam, aber unbarmherzig zum Erliegen brachte … Vermutlich würde die Aufzählung noch eine halbe Stunde weitergehen. Rachel streckte die Hand nach der Fernbedienung aus, um nun doch weiterzuschalten, und hielt dann noch einmal in der Bewegung inne. Auf dem Bildschirm war zur Abwechslung keine überflutete Straße und auch kein über die Ufer getretener Fluss zu sehen, sondern etwas, das eher an Bilder aus einem Bürgerkrieg in irgendeinem Dritte-Welt-Land erinnerte. Sie schalteten den Ton lauter und benötigte noch einmal ein paar Sekunden, um der Stimme des unsichtbaren Kommentators einen Sinn abzugewinnen. Bei dem Tumult, den die Kamera zeigte, handelte es sich offensichtlich nicht um Aufnahmen aus Paraguay oder irgendeinem asiatischen Kleinstaat, dessen Namen allenfalls seine Bewohner aussprechen konnten, sondern um Bilder aus der Nachbarschaft. Der Tumult tobte nirgendwo anders als auf dem Petersplatz im Vatikan, auf dem sich offenbar eine von diesen Weltuntergangssekten zusammengerottet hatte, die in letzter Zeit fast ebenso rasch aus dem Boden schossen, wie der Regen vom Himmel fiel. Wie es hieß, hatte die italienische Polizei auf Bitten des Vatikan hin versucht, die – selbstverständlich illegale – Demonstration aufzulösen, und anscheinend war die Aktion kräftig aus dem Ruder gelaufen und hatte in einer ausgewachsenen Straßenschlacht geendet. Das war schlimm. Rachels Respekt vor dem Heiligen Stuhl in Rom – und auch vor dem Mann, der darauf saß – hielt sich in Grenzen, aber es gab Dinge, die man einfach nicht tat. Die … einfach nicht richtig waren. Es gab Dinge, die Menschen taten, und Dinge, die sie nicht tun sollten, und Rachels Meinung nach waren diese ungeschriebenen Gesetze so etwas wie die Eckpfeiler einer Gesellschaft, die immer und unter allen Umständen beachtet werden sollten, und wenn dies nicht mehr geschah, dann sagte das eine Menge über die innere Verfassung ebendieser Gesellschaft aus.
Das Telefon klingelte. Rachel runzelte die Stirn und sah den Apparat einen Moment lang völlig verständnislos an. Es war immer noch Sonntag Morgen, kurz vor sieben, und es gab nur eine einzige Person auf der Welt, die wusste, dass sie um diese Zeit bereits zu Hause und vermutlich auch wach war. Sie schüttelte den Kopf, als ihr klar wurde, dass sie gerade die Antwort auf ihre eigene Frage gedacht hatte. Natürlich war es Uschi, die anrief, um sich davon zu überzeugen, dass sie heil und unversehrt angekommen war.
Sie schaltete den Fernseher aus, nippte noch einmal an ihrem Kaffee, stellte die Tasse behutsam auf die Sessellehne und kam gerade noch rechtzeitig zum Telefon, um abzuheben, bevor der Apparat das vierte Mal klingelte und der Anrufbeantworter ansprang. »Weiss?«
Keine Antwort. Aus dem Hörer drang nur ein ganz leises Rauschen, mehr nicht.
»Hallo?«
Keine Antwort. Das Rauschen blieb. Nach ein paar Sekunden erklang ein kaum hörbares Klicken und das Display ihres
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