Flut: Roman (German Edition)
nicht, wie schlecht es ihr geht? Lass sie in Ruhe!«
Sie widersprach nicht, warf aber einen fast Hilfe suchenden Blick zu Tanja hin, doch diese sah ihr nur weiter wort- und ausdruckslos in die Augen und ihr Schweigen tat – wenn auch auf völlig andere Weise – ebenso weh wie das Benedikts vorhin. Sie war hierher gekommen, um Tanja Trost zuzusprechen und ihr vielleicht irgendwie Kraft zu geben, ihr zu helfen. Und plötzlich war sie es, die Hilfe brauchte, die das Gefühl hatte, völlig allein und nur noch von Feinden umgeben zu sein. »Wenn ich … irgendetwas für dich tun kann …«, begann sie hilflos.
»Ja«, sagte Frank schneidend. »Du kannst sie in Ruhe lassen, verdammt!«
Rachel wandte sich nicht noch einmal Beistand heischend an Tanja, sondern drehte sich herum und ging niedergeschlagen in den vorderen Teil des Busses zurück. Der Wagen war noch nicht losgefahren und die Tür stand immer noch offen. Als sie sich auf den freien Platz neben Uschi setzte, sah sie einige Gestalten, die über das Rollfeld auf sie zu kamen, konnte aber nicht genau erkennen, um wen es sich handelte.
»Und?«, fragte Uschi.
Rachel hob nur die Schultern.
»Wie geht es ihr?«, wollte Uschi wissen.
»Nicht besonders gut«, antwortete Rachel widerwillig. »Was hast du erwartet?«
»Das Kind?«
»Frank«, sagte Rachel. Sie schüttelte den Kopf. »Ich werde später noch einmal mit ihr reden. Allein.«
»Vielleicht können wir ja mit unserem Gastgeber sprechen, dass er Frank draußen lässt«, schlug Uschi vor. »Der Kerl ist zwar ein guter Schwimmer, aber man kann ja nie wissen …«
Rachel hatte nicht einmal mehr die Energie, über diesen bösen Scherz zu lächeln. Eigentlich nur, um nicht weiter mit ihr reden zu müssen, drehte sie den Kopf und sah wieder nach draußen.
Das halbe Dutzend Gestalten war mittlerweile näher gekommen und sie erkannte nun, dass es sich um vier weitere von De Villes Männern handelte, die Pjotr Darkov und seinen Sohn zwischen sich führten. Auch Benedikts Vater waren mittlerweile wieder Handschellen angelegt worden, aber zumindest hatte man die entwürdigenden Fußfesseln weggelassen, wenn auch vermutlich nur, damit die beiden schneller gehen und ihre Abfahrt auf diese Weise nicht noch weiter verzögern konnten.
Auch De Ville hatte mittlerweile Platz genommen, aber er stand jetzt mit einem Ruck wieder auf und blickte den neu ankommenden Fahrgästen mit einem Ausdruck entgegen, der schon fast an Entsetzen grenzte. »Was soll das heißen?«, fragte er empört.
»Ich habe angeordnet, dass die beiden uns begleiten«, sagte Johannes Petrus.
De Ville fuhr mit einer wütenden Bewegung herum. »Aber …!«
»Es war mein ausdrücklicher Wunsch«, unterbrach ihn Johannes Petrus sanft. »Und ich habe Pjotr Darkovs Wort, dass er uns weder angreifen noch einen Fluchtversuch unternehmen wird.«
De Villes Gesichtsausdruck machte in schon fast beleidigender Weise deutlich, was er von diesem Wort hielt – und auch davon, dass Johannes Petrus es offensichtlich glaubte. »Ich muss dagegen protestieren, Heiliger Vater«, sagte er gepresst. »Bitte verzeihen Sie, wenn ich Ihnen so offen widerspreche, aber Sie wissen offensichtlich nicht, wozu dieser Mann in der Lage ist.«
»O doch, das weiß ich«, erwiderte Johannes Petrus. »Ich weiß es wahrscheinlich besser als Sie, mein Freund.«
De Ville schürzte trotzig die Lippen, aber schließlich beließ er es bei einem angedeuteten Achselzucken. Mit einem Ruck drehte er sich herum und sah zu, wie die Männer Benedikt und seinen Adoptivvater – deutlich unsanfter, wie es Rachel erschien, als nötig gewesen wäre – in den Bus bugsierten und in der vorderen Sitzreihe unterbrachten; auf verschiedenen Seiten des Ganges und jeweils am Fensterplatz, während sich je einer von ihnen neben Darkov und Benedikt setzte. Die beiden anderen nahmen in der Reihe dahinter Platz. Die Gewehre hatten sie griffbereit auf den Knien liegen. Offensichtlich vertrauten sie Darkovs Ehrenwort ebenso wenig, wie De Ville es tat. Rachel versuchte irgendwie Benedikts Aufmerksamkeit zu erringen, doch es gelang ihr nicht. Stattdessen erntete sie einen bösen Blick von De Ville, der jedoch nichts sagte, sondern sich in unwilligem Ton und seiner Muttersprache an den Fahrer wandte, der daraufhin einen altertümlich anmutenden Hebel auf dem Armaturenbrett vor sich umlegte. Die Tür schloss sich mit einem Zischen und der Wagen setzte sich langsam und mit einem fast unwilligen Geräusch in
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