Flut: Roman (German Edition)
Trümmerstücke und zahllose winzige Flammenherde bedeckten den Boden in weitem Umkreis und sie sah mindestens zwei weitere, dunkle Gestalten, die unweit von ihr auf der Straße lagen, sich aber nicht mehr rührten. Das hintere Drittel des Busses stand in Flammen und auch aus den anderen, jetzt leeren Fensteröffnungen quollen Rauch und Funken. Sie sah schattenhafte Bewegungen vor den tanzenden Flammen und hörte Schreie und endlich fiel die Lähmung von ihr ab und sie sprang wieder auf die Füße.
Tanja!
Sie war noch am Leben. Rachel spürte es. Aber sie spürte auch die Qual und die unvorstellbare Angst, die sie peinigten, und die immer größer werdende Gefahr, in der Tanja schwebte. Sie musste zu ihr. Alles, was zählte, war sie. Sie hatte endlich die Wahrheit begriffen, aber vielleicht war es schon zu spät. Ihre Vorahnungen, ihr manchmal ans Unheimliche grenzendes Wissen um drohende Gefahren, der nie versiegende Quell von Kraft irgendwo tief in ihr, der es ihr überhaupt erst ermöglicht hatte, all diese Gefahren und Torturen zu überstehen, ihr absolutes Wissen, das Richtige zu tun, so falsch es ihr selbst auch manchmal erscheinen mochte – das alles hatte nichts mit ihr selbst zu tun. Keine dieser Gaben war ihr geschenkt worden, um sie zu beschützen. Es war immer nur um Tanja gegangen. Torben hatte sich geirrt, ebenso wie Darkov, Benedikt, wie Pater Adrianus und Uschi und sie selbst. Sie war niemals die Auserwählte gewesen, sondern stets nur deren Schutzengel. Sie spürte die Gefahr, in der Tanja schwebte, und ihr Verstand machte ihr auch durchaus klar, dass sie dabei war, sich sehenden Auges in den Tod zu stürzen. Der Bus brannte lichterloh, es konnte nur noch eine Frage von Augenblicken sein, bis er explodierte, und wenn nicht das, dann bis diejenigen hier auftauchten, die für diesen Hinterhalt verantwortlich waren. Wenn es überhaupt irgendetwas Vernünftiges gab, das sie in diesem Moment hätte tun können, dann, sich auf der Stelle herumzudrehen und in die entgegengesetzte Richtung zu rennen. Stattdessen beschleunigte sie ihre Schritte noch und senkte nur den Kopf, um ihr Gesicht vor der grausamen Hitze zu schützen, die ihr entgegenschlug. Jemand torkelte auf sie zu. Ein Teil der Kleidung des Mannes hatte Feuer gefangen und sie sah wie in einer schrecklichen Vision ihr eigenes, blutüberströmtes Gesicht über der verkohlten Uniform, ohne dass sie imstande gewesen wäre, irgendetwas für den Mann zu tun, ihm zu helfen oder auch nur einen weiteren Gedanken an ihn zu verschwenden. Stattdessen rannte sie noch schneller, wich instinktiv einem glühenden Trümmerstück aus und sprang über eine Pfütze aus brennendem Benzin hinweg. Flammen streiften ihre nackten Füße, sie spürte die Hitze, aber sie spürte auch, dass sie ihr nichts anhaben konnte, als gäbe es da eine unsichtbare Macht, die sie schützte; vielleicht war sie auch einfach nur zu schnell. Im Zickzack und immer schneller laufend näherte sie sich dem Bus, sprang ohne zu zögern an dem zerbeulten Dach, das jetzt auf der Seite lag und eine fast lotrecht aufstrebende, gerippte Metallwand vor ihr bildete, in die Höhe und klammerte sich irgendwo fest. Erst als sie sich keuchend in die Höhe zog und die Hitze des Metalls unter sich spürte, begriff sie, dass es weitaus einfacher gewesen wäre, um den Wagen herumzulaufen und durch die zerborstene Frontscheibe zu klettern. Wahrscheinlich wäre es selbst jetzt noch einfacher gewesen, aber sie kletterte verbissen weiter, griff nach dem Rand eines zerbrochenen Fensters und ließ sich im nächsten Moment ohne zu zögern hindurchsinken. Glassplitter zerschnitten ihre Handflächen und die Hitze nahm zu. Nach Chemie schmeckender Qualm schlug ihr entgegen und ließ sie würgen und ihre Augen begannen so heftig zu tränen, dass sie kaum noch etwas sah. Aber das wenige, was sie sehen konnte, war eindeutig mehr, als sie sehen wollte.
Die Vernichtung war nicht so total, wie es der äußere Anblick des Busses befürchten ließ, aber schlimm genug. Wo die Rückbank und die drei davor liegenden Sitzreihen gewesen waren, erhob sich jetzt ein loderndes Inferno, in dem nichts mehr leben konnte. Unmittelbar davor lag eine verkrümmte Gestalt in einem halb verbrannten gefleckten Tarnanzug und als sie einen vorsichtigen Schritt machte, stolperte sie über einen zweiten, reglosen Körper. Sie hatte nicht den Mut, nach unten zu sehen und sich davon zu überzeugen, wer es war. Stattdessen versuchte sie verzweifelt
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