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Flut: Roman (German Edition)

Flut: Roman (German Edition)

Titel: Flut: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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angehalten hatte. Offensichtlich hielt De Ville Wort und hatte dafür gesorgt, dass der Arzt sich um die Verletzten kümmerte. Sonderbarerweise beruhigte dieser Gedanke Rachel nicht. Ganz im Gegenteil: Sie ertappte sich plötzlich bei der Überlegung, dass dieser Arzt für sie und ganz besonders für Tanja sehr viel wichtiger war als für diese wildfremden Menschen, die sowieso in gut zwei Stunden sterben würden, ganz egal, was jetzt mit ihnen geschah. Sie erschrak vor ihren eigenen Gedanken und sie schämte sich ihrer. Sie hatte das Gefühl, sie laut ausgesprochen zu haben, und obwohl sie genau wusste, dass das nicht der Fall war, erschien es ihr doch, als ob jedermann im Bus sie für einen Moment entsetzt anstarrte.
    Sie fuhren jetzt schneller. Der vorausfahrende Wagen vergrößerte den Abstand zu ihrem Bus deutlich und De Ville gab dem Fahrer offensichtlich von Zeit zu Zeit über das Walkie-Talkie Anweisungen. Auch sah er sich immer wieder nervös um und mehr als einmal hob er den linken Arm und blickte mit unverhohlener Sorge auf die Uhr. Wenn Giradelis Vorhersage richtig und Rachels eigene Einschätzung der verstrichenen Zeit nicht vollkommen falsch war, dann blieben ihnen noch gute zwei Stunden für eine Strecke, die sie selbst mit einem wesentlich langsameren Fahrzeug in allerhöchstens zwanzig Minuten zurücklegen konnten. Und doch hatte auch sie immer mehr das Gefühl, dass ihnen die Zeit zwischen den Fingern zerrann. Sie war –
    Hitze. Schneidendes Glas, das sich mit weiß glühendem Schmerz in ihr Fleisch bohrte, dann eine Explosion grausamer Pein, die in ihrem Unterleib den Anfang nahm und binnen Sekundenbruchteilen jeden einzelnen Nerv in ihrem Körper in Brand setzte.
    Rauch. Erstickende Wärme und eine grässliche Last, die sich auf sie herabsenkte und immer schwerer wurde. Das Gefühl, nicht mehr atmen zu können und –
    Rachel schrie auf und fuhr so erschrocken hoch, dass Uschi neben ihr heftig genug zusammenzuckte, um beinahe vom Sitz zu fallen. Der Anblick wäre vielleicht komisch gewesen, hätte sie Rachel dabei nicht aus weit aufgerissenen Augen und mit einem Gesichtsausdruck angestarrt, der nur mit blankem Entsetzen zu beschreiben war, und wäre nicht auch De Ville gedankenschnell in die Höhe gesprungen und hätte nach der Waffe an seiner Seite gegriffen.
    »Was ist los?«, schnappte er.
    Rachel drehte sich verwirrt um. Die Vision war so schnell erloschen, wie sie gekommen war, und auch die Erinnerung an den Schmerz und die Grausamkeit hatte plötzlich etwas sonderbar Unwirkliches, als beträfe es gar nicht sie, sondern … jemand anderen.
    Und endlich begriff sie.
    Rachel fuhr herum und schrie Tanjas Namen, aber es war zu spät. Irgendetwas Dunkles explodierte auf der anderen Seite der Straße in der Nacht, ritt auf einem heulenden Flammenstrahl auf den Bus zu, zerschmetterte das Fenster unmittelbar hinter De Ville und im Bruchteil einer Sekunde danach auch das auf der anderen Seite, und noch bevor De Ville auch nur einen erschrockenen Schrei ausstoßen konnte, verwandelte sich die Häuserfront neben ihnen in einen brodelnden Vulkan, aus dem Flammen und glühende Trümmerstücke und ein Schwall unerträglicher Hitze auf den Bus geschleudert wurden.
    »Eine Falle!«, brüllte De Ville. »Das war eine Falle! Geben Sie Gas!«
    Der Bus erzitterte wie unter dem Faustschlag eines Riesen und fast alle Fenster auf der der Explosion zugewandten Seite zerbarsten nach innen. Irgendetwas durchschlug das dünne Blech der Seitenwand, setzte eine der leeren Sitzbänke in Brand und Rachel duckte sich instinktiv und riss schützend die Arme vor das Gesicht, ohne die grausame Hitze dadurch auch nur im Mindesten mildern zu können. Sie verlor das Gleichgewicht, fiel nach vorne und prallte so schmerzhaft mit den Rippen gegen die Rückenlehne des Sitzes, dass ihr die Luft wegblieb und aus ihrem Schrei ein ersticktes Keuchen wurde. Der Bus schleuderte. Das nicht enden wollende Dröhnen und Krachen der Explosion verschlang jeden anderen Laut, aber sie spürte den Chor gellender Schreie, das Kreischen der Reifen und das immer noch anhaltende Splittern von zerbrechendem Glas.
    Sie fiel. Irgendetwas Heißes regnete auf sie herab und setzte den linken Ärmel ihres Pullovers in Brand. Rachel wälzte sich gedankenschnell herum, schlug die Flammen mit der bloßen Hand aus und kroch ein kleines Stück auf Händen und Knien davon, ehe sie sich aufrichtete und gehetzt umsah. Der Vulkan, der gerade noch auf der gesamten

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