Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Flut: Roman (German Edition)

Flut: Roman (German Edition)

Titel: Flut: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
willst. Danke für den Versuch.«
    »Aber –«
    »Du musst keine Angst haben, dass ich es mir vielleicht doch noch anders überlege«, fuhr Benedikt fort, nun leiser und mit unheimlich veränderter Stimme. »Du willst wissen, warum ich meinen Vater verraten und mich auf eure Seite geschlagen habe?« Er drehte mit einem Ruck den Kopf und sah sie an. »Weil ich weiß, was ich bin.«
    »Das verstehe ich nicht«, sagte Rachel.
    »Nein?« Seine Stimme wurde bitter. »Vielleicht verstehe ich es auch nicht. Vielleicht will ich es auch gar nicht verstehen. Vielleicht will ich kein Spielzeug sein. Weißt du, weder dieser alte Mann an der Spitze der Kirche noch De Ville hätten es begriffen, aber ich habe euch geholfen, weil ich glaube, dass mein Vater Recht hat.«
    Rachel war nun vollends verwirrt. Sie glaubte Benedikts Gedankengang folgen zu können, aber sie war nicht ganz sicher.
    »Diese beiden dummen alten Männer«, fuhr Benedikt fort, »sie führen seit einem Menschenleben Krieg gegeneinander und sie begreifen nicht einmal, worum sie kämpfen oder wofür. Vielleicht stimmt es. Vielleicht hat Torben Recht und einer von uns ist der neue Messias und der andere der Antichrist, vielleicht ist auch alles nur Unsinn. Es interessiert mich nicht. Es ist mir völlig gleichgültig, welche Rolle mir zugedacht worden ist. Ich bestimme allein über mein Leben. Sollen sich andere Gedanken um das Schicksal der Welt machen. Ich lasse mir von niemandem vorschreiben, wie ich zu leben und was ich zu tun habe. Weder von Gott noch vom Teufel.«
    Rachel schwieg. Sie war erschüttert. Nicht einmal so sehr über das, was Benedikt gesagt hatte, als über die Verzweiflung in seiner Stimme und in seinen Augen. Wie tief musste ein Mensch verletzt sein, wenn er bereit war, Gott selbst herauszufordern?
    Da sie spürte, dass sie im Moment ohnehin nichts tun konnte, um ihm zu helfen, drehte sie sich demonstrativ wieder herum und sah aus dem Fenster, in die Richtung, aus der De Ville kommen musste. Die Straße war nach wie vor leer und sie konnte sie nun auf eine Entfernung von sicher einem halben Kilometer überblicken, denn das Licht des näher kommenden Sternes hatte weiter an Leuchtkraft zugenommen. Die dünnen, wie eingefrorene, vielfach verästelte Blitze wirkenden Linien, die von dem leuchtenden Halo ausgingen, berührten nun in allen Richtungen den Horizont und es war mittlerweile heller als in einer wirklich klaren Sternennacht. Nur in südlicher Richtung, scheinbar viel weiter entfernt, als es tatsächlich der Fall war, wie sie wusste, durchbrach ein rotes Glühen den kaltweißen Schein: der Widerschein zahlloser Brände, die dort hinten flackerten, aber in diesem Moment erschien es ihr, als hätte etwas dem Himmel eine Wunde geschlagen, aus dem leuchtendes Blut quoll.
    »Was ist, wenn er nicht kommt?«, murmelte sie.
    »De Ville?«
    »Ja.«
    »Dann warten wir«, sagte Benedikt.
    »Und worauf?«
    »Auf das da.« Benedikt machte eine Kopfbewegung nach draußen. Auf das Ende der Welt.
    Eine Zeit lang standen sie schweigend nebeneinander da, dann spürte sie, wie sich irgendetwas in Benedikt änderte. Er trank noch einen winzigen Schluck Kaffee, stellte die Tasse mit einem übertrieben heftigen Ruck auf das Fensterbrett zurück und sagte in verändertem Ton: »Lass uns nach unten gehen. Ich möchte, dass du nach deiner Freundin siehst.«
    Aus keinem anderen Grund war sie hier. Vielleicht wäre jetzt der letzte überhaupt mögliche Moment gewesen, es ihm zu sagen, aber während sie noch mit den Worten rang, drehte sich Benedikt bereits vollends herum, warf dabei aber noch einmal einen flüchtigen Blick aus dem Fenster – und fuhr erschrocken zusammen.
    »Da kommt jemand.«
    Auch Rachel trat wieder näher ans Fenster heran und versuchte die einsame Gestalt zu erkennen, die sich aus nördlicher Richtung näherte. Sie ging mitten auf der Straße und irgendetwas war mit ihr nicht in Ordnung. Sie ging nicht gerade, sondern schleppte sich in mühsamen Schlangenlinien dahin, und es war …
    »Das ist doch …«, murmelte Benedikt.
    »Uschi!« Rachel riss ungläubig die Augen auf. Die Gestalt war noch zu weit entfernt, als dass man in dem sonderbaren Licht tatsächlich ihr Gesicht erkennen konnte, aber sie war dennoch vollkommen sicher, dass es niemand anderes als Uschi war. Sie erkannte ihren Gang trotz des betrunken wirkenden Taumelns, ihre typische Silhouette und ihre Art sich zu bewegen, obwohl sie sich niemals in all der Zeit so bewegt hatte.

Weitere Kostenlose Bücher