Flut: Roman (German Edition)
magische Weise immer wieder fast um dieselbe Distanz entfernte, die sie gerade zurückgelegt hatte, aber sie konnte dennoch nicht verhindern, dass sich ein beunruhigender Gedanke in ihr breit zu machen begann: Wenn sich ihre Verfolger so auffällig benahmen, dann konnte es dafür eigentlich nur zwei Erklärungen geben – sie waren entweder die abgebrühtesten Burschen, von denen sie jemals gehört hatte, oder sie hatten tatsächlich nichts zu befürchten, wenn sie nämlich in ganz offiziellem Auftrag handelten. Sie hatten es gemerkt. Jemand hatte endlich begriffen, was sie getan hatte, und jetzt waren sie gekommen, um sie zu holen und zur Rechenschaft zu ziehen.
Unsinn! Niemand hatte etwas herausgefunden, ganz einfach, weil es gar nichts herauszufinden gab. Das einzige Verbrechen, das sie begangen hatte, hatte in ihrem Kopf stattgefunden und so weit ging die göttliche Gerechtigkeit nun doch noch nicht, körperliche Häscher zu schicken, um sie für eine in Gedanken begangene Sünde zu bestrafen. Wer immer diese Männer waren, sie hatten sie entweder verwechselt oder einen sehr viel handfesteren Grund, hier zu sein. Rachel hatte nicht die allermindeste Lust, ihn herauszufinden.
Sie hatte auf dem mit Schlamm überfluteten Weg mittlerweile einen Rhythmus gefunden, der ihr gestattete, relativ zügig von der Stelle zu kommen und dabei ein Mindestmaß an Kraft aufzuwenden, sodass sie dem Waldrand nun relativ schnell näher kam. Wieder warf sie einen Blick zu ihren Verfolgern zurück. Der Volvo hatte abermals gewendet (was nebenbei bemerkt vollkommen hirnrissig war: Auf dem kurzen Stück verbrauchte der Fahrer mehr Zeit mit den Wendemanövern, als es ihn gekostet hätte, die Strecke im Rückwärtsgang zurückzulegen) und bewegte sich erneut in ihre Richtung. Der Fahrer war möglicherweise nicht sehr clever, aber er war zumindest ein guter Beobachter, der die richtigen Schlüsse aus der Tatsache gezogen hatte, dass sie sich plötzlich so mühelos bewegte. Er jagte den Wagen an der Stelle vorbei, an der er gerade im Schlamm stecken geblieben war, und hielt zwanzig Meter weiter vor dem abgesenkten Bürgersteig an. Die beiden hinteren Türen flogen auf und zwei Gestalten in schwarzen Regenmänteln stürzten heraus, um zu Fuß die Verfolgung aufzunehmen. Rachel verstand zwar nicht, wie – die braune Krume des Kornfeldes hatte sich in einen zähflüssigen Brei verwandelt, der unterschiedslos in alle Richtungen schwappte und jede noch so kleine Unebenheit ausglich, sodass der Feldweg einfach verschwunden war –, aber irgendwie gelang es ihnen, genau wie sie auf relativ festem Untergrund zu laufen und ein erschreckendes Tempo vorzulegen. Sie bewegten sich eindeutig schneller als Rachel selbst. Aber ebenso eindeutig auch nicht schnell genug. Rachel war klar, dass sie ihr nicht einmal nahe kommen würden, ehe sie den Waldrand erreicht hatte. Aber sie war mittlerweile auch nicht mehr davon überzeugt, dort tatsächlich in Sicherheit zu sein. Die Männer stellten sich vielleicht nicht besonders geschickt an, aber sie waren hartnäckig und irgendetwas sagte ihr, dass sie es mit professionellen Menschenjägern zu tun hatte. Und das Waldstück war tatsächlich nicht besonders groß.
Der Wagen raste weiter, nachdem er seine beiden Passagiere entlassen hatte, und verschwand nach wenigen Augenblicken aus ihrem Sichtfeld. Rachel registrierte das absurde Gefühl von Erleichterung, als der Fahrer über die Kreuzung preschte, ohne auf das Rotlicht zu achten, vollkommen widersinnigerweise aber den Blinker betätigte, während er nach links abbog. Dann war er verschwunden, während die beiden Männer in den schwarzen Regenmänteln unerbittlich näher kamen. Sie hatten nicht einmal die Spur einer Chance, sie einzuholen, ehe sie zwischen den Bäumen verschwand, und trotzdem spornte sie allein der Anblick noch einmal zu größerer Schnelligkeit an.
Als sie noch fünf Meter vom Waldrand entfernt war, spürte sie einen warmen Lufthauch auf der Wange und praktisch im gleichen Sekundenbruchteil explodierte die Baumrinde ein Stück vor ihr. Mikroskopisch kleine Holzsplitter prasselten wie unsichtbare, aber gefährliche Schrapnellgeschosse rings um sie nieder, und irgendetwas biss so dünn und schmerzhaft wie ein Bienenstachel in ihren linken Handrücken. Rachel registrierte den Schmerz nicht einmal. Nicht ihr Verstand, sehr wohl aber etwas, das viel tiefer in ihr verborgen war, hatte sofort begriffen, was die winzige Explosion bedeutete. Und das
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