Flut
und arbeiten sich unbeirrbar bis an den Strand vor. Die Mutter ist begeistert von den Kristallgläsern, den Votivkerzen, den Sonnenblumen in reagenzglasförmigen Vasen. Sie bestellen einen Meeresfrüchte-Eintopf. Der Kellner empfiehlt Weine, und sie entscheidet sich für einen südafrikanischen Pinotage. Er entdeckt die Fontäne eines Wals und zeigt auf das blaue Meer. Die Mutter setzt ihre Brille auf und sieht die zwei nächsten Fontänen, dann verschwindet der Wal. Als das Essen kommt, breitet sich der durchdringende Geruch der Gewürze und Meeresfrüchte aus.
Herrlich, dieses Maniokpüree. Hast du hier schon mal gegessen?
Nein. Das hat mir ein Freund empfohlen, der in der Nähe eine Pension betreibt.
Hast du viele Freunde hier?
Ein paar.
Ich dachte, du wärst so eine Art Eremit geworden.
Ich lebe ein ganz normales Leben.
Normal für dich vielleicht. Ich verstehe ehrlich gesagt nicht, warum du mitten im Winter an so einem gottverlassenen Ort leben musst, obwohl du in Porto Alegre oder sogar in São Paulo sein könntest wie dein Bruder. Ich glaube, dass du immer noch unter dem Tod deines Vaters leidest, und dass du irgendwann zurückkommst. Aber das musst du natürlich selbst wissen. Du bist ja erwachsen. Ich weiß, dass du gern allein bist, so warst du schon als Kind, und ich habe das immer respektiert. Aber dass du nichts aus deinem Leben machen willst, damit war ich nie einverstanden. Wie lange willst du noch hier rumsitzen und ein paar Leuten Schwimmunterricht geben? Ganz allein mit dieser schrecklichen Hündin. Die stirbt sowieso bald. Das ist kein Ort, um sich ein Leben aufzubauen. Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass die Schuld für diese Antriebslosigkeit bei deinem Vater liegt, der immer meinte, ich solle dich in Ruhe lassen. Lass den Jungen Sportlehrer werden. Lass ihn Rad fahren und schwimmen, wenn es das ist, was ihm Spaß macht. Du hast das Schlimmste von deinem Vater geerbt, und zwar weder die Trinkerei noch das Zigarrenrauchen, noch den Mangel an Respekt, den er mir gegenüber hatte, sondern diese absurde Vorstellung, ihr könntet mitten im Urwald leben, so wie vor tausend Jahren, und dass ihr nur zufällig im 21. Jahrhundert geboren seid und in einer großen Stadt lebt, in der man alles Mögliche tun und auf die Beine stellen kann, in der man Geld verdienen kann, um durch die Welt zu reisen …
Ich bin im 20. Jahrhundert geboren. Vater auch.
… und faszinierende Dinge lernen und ein interessantes, modernes Leben voller Kultur leben kann, und dann alldas nutzen kann, um eine eigene Familie zu gründen, die all dies auch wird nutzen können, und immer so weiter. All die Dinge, die unsere Vorfahren von uns erwarten, weißt du? Er hat es nicht zugelassen, als ich dich in deiner Jugend dazu erziehen wollte, und jetzt glaubst du, es reiche, sich in einer schimmeligen, nach Fisch riechenden Ferienwohnung den Bart wachsen zu lassen und gerade mal genug Geld zu verdienen, um die Stromrechnung zu bezahlen. Ich sehe das anders. Eines Tages wirst du heiraten und ein eigenes Haus haben wollen. Deine neue Freundin ist doch aus Porto Alegre, oder? Will die den Rest ihres Lebens hier verbringen? Bestimmt nicht. Willst du mit ihr zusammenbleiben? Hast du vor, sie irgendwann zu heiraten? Willst du Kinder haben? Würden die hier auf eine anständige Schule gehen können? Du hast mir erzählt, dass sie ein gebildetes Mädchen ist und an ihrem Master arbeitet. Dann wird sie Ambitionen haben. Den Film habe ich schon mal gesehen. Und du bist nicht gut darin weggekommen. Du kannst den Rest deines Lebens damit verbringen, eine zweite Viviane zu finden, aber solange du nicht deine Einstellung änderst, wird es am Ende immer wieder auf dasselbe hinauslaufen …
Nur, falls du mir noch so einen Hurensohn von einem Bruder schenkst.
… denn das Problem ist, dass du das Leben als etwas betrachtest, dass man allein leben muss, solange einen nicht die Umstände zum Gegenteil zwingen. Ich weiß, dass du nichts dafür kannst, das ist nun mal deine Natur, aber du musst dagegen ankämpfen, Schatz. Und falls du deinen Bruder beleidigen willst, denk dir eine andere Beleidigung aus, denn deine Frau Mutter ist keine Hure. Sie hat Architektur studiert und jahrelang als Innenarchitektin gearbeitet.
Ich wollte nicht …
Du musst aufhören, Dante dafür verantwortlich zu machen. Es war nicht seine Schuld, dass Viviane sich für ihn entschieden hat.
Mama, du hast keine Ahnung.
Und es kam auch wirklich nicht sehr gut an,
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