Flut
ich die guten Jahre mit ihm. Wir hatten einige gute Jahre.
Das freut mich, Mama. Wirklich.
Sie will durch den Sand laufen. Also fahren sie ans südliche Ende des Strandes, laufen von dort bis zur Lagoa do Meio und reden so gut wie kein Wort. Vor den mächtigen Hügeln ringsum kommen sie sich klein vor, auf der anderen Seite erstreckt sich weit das Meer. Zweimal weht der Wind den Strohhut seiner Mutter weg, und er muss ihm im weichen Sand hinterherlaufen. Angesichts der Schönheit des Strandes ist der Streit vom Mittagessen wie verflogen.
Jasmim empfängt sie am späten Nachmittag mit Kaffee, Mate und einem gewürfelten Orangenkuchen. Sie überreichen ihr den Matetee, den seine Mutter vom Mercado Público in Porto Alegre mitgebracht hat. Er hat seine Mutter im Vorfeld gebeten, gewisse Themen auszulassen, und das Gespräch fließt glatt und ohne Zwischenfälle dahin, befeuert von der affektierten Begeisterung seiner Mutter, die alles absolut wunderbar, lustig und umwerfend findet. In solchen Momenten regt er sich am meisten über sie auf. Wenn sie sich verstellt und versucht, zu gefallen, und von der heimlichen Mutterliebe, die sich hinter ihren Vorwürfen und Verurteilungen und den permanenten Vergleichen mit seinem Bruder verbirgt, nicht das Geringste übrig bleibt. Jasmim schmückt die Geschichte vom Metalldetektor auf amüsante Weise aus, und die Mutter lacht Tränen. Irgendwann reden die beiden tatsächlich über irgendein Detail der 20-Uhr-Soap, obwohl Jasmim nicht mal einen Fernseher besitzt. Keine Fragen darüber, wie es sich als alleinstehende Frau an einem solchen Ort lebt, oder über ihre Zukunftserwartungen, keine Scherze über Schwiegermütter und Enkelkinder. Vielleicht würden sie sich wirklich gut verstehen, denkt er. Könnte gut sein. Mit der Zeit.
Am Sonntagmorgen geht er nicht mit Beta schwimmen, allein um seiner Mutter den Anblick zu ersparen. Zum Mittagessen taut er einen Fisch auf und stellt zwei Strandstühle vor die Wohnung. Die Hündin bellt viel, und er erwischt seine Mutter dabei, wie sie ihr heißes Wasser aus der Thermoskanne über den Rücken gießt, aber als er sie zur Rede stellt, schwört sie, es sei keine Absicht gewesen. Gerade als ich die Kalebasse auffüllen wollte, läuft das verfluchte Viech drunter durch, da hab ich mich eben erschreckt.
Eine Frau kommt vorbei und bleibt stehen, um sich mit ihnen zu unterhalten. Er erkennt Dona Cecina erst, als sie sagt, was für ein guter Mieter er sei, der beste, den sie außerhalb der Saison je gehabt habe, ruhig und friedlich, ganz anders als sein Großvater, der hier vor vielen Jahren gelebt habe. Er hat noch nie mit Dona Cecina über seinen Großvater gesprochen, und ihre unangebrachte Bemerkung muss er wohl als eine Art Botschaft verstehen, aber das ist ein Thema für ein anderes Mal. Als Dona Cecina weg ist, fragt seine Mutter, was sie damit gemeint habe.
Ich hab nicht die geringste Ahnung, Mama. Sie ist schon etwas senil und verwechselt mich dauernd mit irgendwelchen Leuten, die hier mal gewohnt haben.
Kurz vor zwölf geht er hinein und fängt an, den Fisch zu würzen und zu braten. Erst nach einiger Zeit hört er ihre Stimme wieder.
Komm her und sieh dir das an, mein Sohn.
Er tritt vor die Tür und sieht sich um, weiß aber nicht, was die Mutter meint.
Da drüben. Ein Tölpel, der Fische fängt. Ein Weißbauchtölpel. Sieh dir das an.
Der Vogel segelt in zwanzig oder dreißig Metern Höhe zwischen den Fischerbooten. Er beginnt, in kreisförmigem Flug zu sinken, wechselt dann schlagartig die Richtung, verwandelt sich in einen Pfeil und stößt senkrecht durch die Wasseroberfläche. Kurz darauf treibt er ohne Beute auf dem Wasser und schwingt sich schicksalsergeben erneut in die Luft.
Das liebe ich ja, diesen Vögeln zuzusehen, wie sie nach Fischen tauchen. Als Jugendliche bin ich mit meiner Familie oft nach Florianópolis und Bombinhas gefahren und habe stundenlang die Tölpel beobachtet. Mein Vater wusste alles über Vögel. Sie haben Luftsäcke am Kopf, um beim Eintauchen den Aufprall zu dämpfen. Wusstest du das? Ich mag es gern, wie sie auf den Felsen stehen, mit ihren plumpen Füßen und dem weißen Bäuchlein. Sie sehen immer so fröhlich aus. Mein Vater hat uns erzählt, dass sie mal einen Tölpel gefunden haben, der so schnell ins Wasser geschossen war, dass er sich mit dem Schnabel voran direkt in das Maul eines Fisches bohrte. Der Fisch wurde mit dem Tölpelkopf im Maul aus dem Meer geholt. Beide waren tot, der Kopf
Weitere Kostenlose Bücher