Flut
sonnen sich an der winzigen Praia da Preguiça und sehen ihren Kindern beim Spielen zu. Algen, Zweige und Weichtiere bilden Fächer im ockerfarbenen Sand und verströmen einen säuerlichen Geruch. Er nickt den anderen zu und folgt einem Pfad über die Felsen. Seine Füße tauchen in das lauwarme Brackwasser unter dem spitzen Gras. Die Häuser hier sind riesige Paläste mit Glasfront, Sonnenkollektoren und breiten Holzterrassen, die Grundstücke wurden von Landschaftsarchitekten radikal umgestaltet. An der Ponta da Vigia steht eine größenwahnsinnige Villa, an der man als Spaziergänger kaum vorbeikommt. Hinter dem niedrigen Stacheldrahtzaun gerät ein hysterischer Zwergpudel außer Kontrolle und kreischt wie eine Fledermaus, während sein Frauchen aus dem Haus nach ihm ruft. Beta ignoriert ihren Artgenossen komplett. Die Schatten der Wolken gleiten über das schäumende Meer, und er stellt sich vor, dass die Fische die Schatten für die eigentlichen Wolken halten. Er hüpft über die Steine bis zu einer Ansammlung verwitterter Metallträger, die in einemBetonblock stecken. Das Skelett dieser mysteriösen Struktur ist schon vor langer Zeit von der Gischt entstellt worden, und der orangefarbene Rost verleiht ihr etwas Mörderisches. Von dort aus hat man den ganzen Strand von Garopaba im Blick. Die Hündin beobachtet die Strandkakerlaken, die am Wasser über die Steine laufen.
Er ist fast wieder bei der Kirche angelangt, als ihm an der Mauer eines der alten Häuser, die die Fischer am Abhang zwischen Meer und Straße gebaut haben, ein kleines handgeschriebenes Schild auffällt, auf dem ZU VERMIETEN steht. Hinter dem Tor führt eine lange, sehr schmale Treppe direkt am Haus entlang drei Stockwerke nach unten und endet an einem Gang wenige Meter vor den Wellen. Er ruft die Nummer an und fragt, ob die Wohnung zu vermieten sei. Kurz darauf kommt aus einem der Nachbarhäuser ein lächelnder, sonnengebräunter kleiner Mann, der zunächst den Eindruck macht, als würde er sich über irgendetwas amüsieren, was aber offenbar nicht der Fall ist. Das Apartment liegt ganz unten, direkt an den Felsen. Der Mann nimmt das Vorhängeschloss vom Tor, und sie laufen die schmale Treppe hinunter, vorbei an den anderen beiden Wohnungen. Durch eine braune Tür treten sie in ein kleines Wohnzimmer, an das eine Küche anschließt. Das Mobiliar beschränkt sich auf zwei abgewetzte Sofas und einen rechteckigen Holztisch. In der Wohnung ist es ein ganzes Stück kälter als draußen. Wie zu erwarten riecht es nach Schimmel. Der Mann fummelt an den Fensterriegeln herum und schlägt ein paar Mal dagegen, bis er die Läden gelöst hat. Ihm bietet sich ein Blick über die ganze Bucht, linker Hand liegen die Fischerschuppen, davor ankern ein paar alte Walfangboote. Vor dem Fenster führt eine Steintreppe auf einen großen glatten Felsen, der im Moment mit Gischt bedeckt ist, an ruhigeren Tagen aber trocken sein muss. Oben auf dem Fels liegt eine blaue Plane, wahrscheinlich über einem Fischernetz. Der Mann zeigt ihm das Schlafzimmer, in dem ein Doppelbett steht, das Bad unddie Küche mit der kleinen Abstellkammer, aber das alles ist ihm nicht mehr wichtig. In dem Augenblick, als die Fensterläden aufgingen, hat er beschlossen, die Wohnung zu nehmen.
Ich würde die Wohnung gern haben. Vermietet ihr auch für ein Jahr?
Da müssen Sie mit meiner Mutter sprechen.
Arbeitet ihr mit einem Maklerbüro zusammen?
Das müssen Sie mit meiner Mutter besprechen. Sie kümmert sich darum.
Seine Mutter, Dona Cecina, wohnt zwei Häuser weiter. Um die Veranda herum stehen Zitronenbäume und Surinamkirschbäume am Hang. Dona Cecina führt ihn in das aufgeräumte Wohnzimmer mit Blick aufs Meer und lässt ihn auf dem Ledersofa Platz nehmen. Auf dem Tisch steht eine Sammlung hübscher Keramikvasen. Sie hat ein schönes rundes Gesicht, schmale Augen und leicht angeschwollene Lider. Nachdem sie sich gesetzt haben, schweigt sie und deutet dabei ein mildes Lächeln an. Wie eine Priesterin, die auf den Gefühlsausbruch eines Beichtenden wartet. Er wiederholt seinen Wunsch, die Wohnung im Erdgeschoss für ein Jahr zu mieten. Mit einem zarten Zischen in der Stimme erklärt sie ihm, sie vermiete die Wohnung nur während der Saison und außerhalb der Saison könne sie sie ihm höchstens monatsweise vermieten, so lange, wie von beiden Seiten Interesse besteht, allerdings nur bis November, wenn die Hauptsaison beginnt. Sie verliere Geld, wenn sie sie für ein ganzes Jahr
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