Flut
links ab in Richtung Praia do Rosa. Um über die Straßenschwellen zu kommen, muss der Käfer fast stehenbleiben. Aus der gepflasterten Straße wird jetzt ein abschüssiger, unbefestigter Weg. Weil die Kupplung sich nicht von allein in die Normalposition zurückbewegt, hat Bonobo ein Stück blaue Wäscheleine zwischen Pedal und Türgriff gespannt. Die linke Hand vom Lenkrad zu nehmen und nach jedem Gangwechsel im richtigen Moment an der Schnur zu ziehen, ist kompliziert und erfordert ein hohes Maß an Geschicklichkeit und Koordination. Manchmal erinnert Bonobo dabei an einen Puppenspieler, der eine Auto-Marionette lenkt.
Die Party findet im Außenbereich eines japanischen Restaurants statt, und es ist so gut wie nichts los. Ein MC-Duo rappt in einer Ecke der zur Tanzfläche umfunktionierten Veranda. Der Sound ist extrem schlecht, und die beiden Männer scheinen zu wenig Puste zu haben, um hinter ihren Reimen herzukommen. Acht Männer und zwei Frauen tanzen oder stehen am Rand und unterhalten sich. Hinter dem Restaurant entdeckt er einen japanischen Garten mit kunstvoll komponierten Steinarrangements, einem Brunnen, einemTeich, in dem sich eine Bande Karpfen tummelt, und einem Bach. An einem der Tische im Garten sitzen drei Mädchen schweigend vor ihren Getränken. Das ist die Party. Er bestellt ein Bier und bekommt eine warme Dose Brahma. Zu essen scheint es nichts zu geben. Bonobo trinkt einen Mojito und spricht mit jemandem auf der Tanzfläche.
Er geht zum Wagen, öffnet die Tür und lässt Beta raus. Dann kehrt er mit ihr zum Restaurant zurück und setzt sich auf einen der gepolsterten Stühle vor dem Gebäude. Benutzte Gläser und leere Dosen lassen darauf schließen, dass einige Gäste schon wieder gegangen sind. Die Hündin setzt sich neben den Stuhl. Er starrt ins Dickicht, bis er den monotonen Gesang der MCs nicht mehr wahrnimmt. Sein Handy klingelt. Es ist Laila, eine ehemalige Schwimmschülerin und Freundin aus Porto Alegre. Bevor er herausfinden kann, warum sie ihn so spät noch anruft, ist sein Guthaben aufgebraucht.
In Gedanken bereitet er das Training vor, das seine Schüler morgen im Schwimmbad absolvieren sollen. Währenddessen nähern sich zwei Männer, ohne ihn zu bemerken. Sie haben die Köpfe zwischen die Schultern gezogen, sprechen leise miteinander und machen verstohlene Gesten. Als sie nach einer Weile feststellen, dass sie nicht allein sind, verstummen sie. Einer von ihnen hat wasserstoffblondes Haar, und er ist ziemlich sicher, dass es der Kerl ist, den er mit Dália im Pico do Surf gesehen hat, an dem Abend, als sie sich kennenlernten. Die Haarfarbe ist hier in der Gegend nicht ungewöhnlich, aber der Typ sieht länger als normal zu ihm rüber. Allmählich fühlt er sich bedroht.
Kennen wir uns?
Der andere antwortet nicht und starrt ihn weiter an. Er ist jünger als er, wahrscheinlich Anfang zwanzig, und wirkt zugekokst. Er sucht nach einem Merkmal, um ihn in Zukunft zu erkennen. Auf die linke Wade hat er einen Hai tätowiert. Die beiden gehen zurück ins Restaurant.
Er wartet ein paar Minuten und sucht dann nach Bonobo.Keine Spur von ihm. Und auch sonst ist kaum noch jemand zu sehen. Die drei Mädchen aus dem Garten sind verschwunden. Die MCs haben aufgehört zu singen und stehen mit den wenigen anderen Gästen um den DJ herum. Der Käfer ist noch da. Er bringt Beta in den Wagen und geht zur Toilette. Auf dem Rückweg begegnet er im Korridor Bonobo, in Begleitung der beiden Mädchen, die vorhin getanzt haben.
Wo warst du denn?, lallt Bonobo, komplett betrunken, aber ansonsten Herr der Lage.
Ich such dich schon die ganze Zeit. Das ist Liz, eine gute Freundin, und das hier ist Ju.
Bonobo und Ju stecken mitten in einem Gespräch, in dem Begriffe wie Seele, Vergänglichkeit und Nichtigkeit fallen. Liz macht den Eindruck, als würde sie nur ihre Freundin begleiten. Keine von beiden wirkt betrunken, und er ist nicht sicher, was gerade passiert, ahnt aber, dass es eigentlich offensichtlich sein müsste.
Die Pousada do Bonobo ist gleich in der Nähe, und wenige Minuten später fahren Bonobos Käfer und der rote VW Parati der Mädchen eine schmale, steile Auffahrt zwischen Bambuszäunen hinauf. Sie mündet in ein gepflegtes Grundstück, auf dem ein zweistöckiges Haus und weiter hinten zwei kleinere Hütten stehen, alle drei eine Kombination aus Mauerwerk und Holzbalken mit grünen portugiesischen Dachziegeln und kleinen Wintergärten. Auf einem Schild über der Tür steht POUSADA DO
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