Flut
erstaunt, wenn man sie anspricht, als wäre es das Ungewöhnlichste auf der Welt.
Meine Hündin wurde überfahren, und man hat mir gesagt, sie sei hier.
Der Arzthelfer erwacht aus seiner Starre und antwortet, ja, die Hündin sei da, er setzt sich in Bewegung, sagt, er werde mit der Ärztin sprechen, und bittet ihn zu warten. Kurz darauf kommt er zurück und erklärt, sie sei im Behandlungszimmer und komme gleich.
Kann ich reingehen und mit ihr sprechen?
Nein. Sie kommt gleich.
Der Mann guckt immer noch verunsichert, als wolle man ihn testen.
Ist der Mann, der sie hergebracht hat, noch da?
Nein. Er hat eine Weile gewartet und ist dann weitergefahren.
War es jemand aus dem Ort?
Der Mann zuckt mit den Schultern. Der Rand seiner Ohren hat keine Falte, so als hätte ihn jemand als Kind verstümmelt. Der Empfang der Tierarztpraxis ist in Wirklichkeit eine Art Fachgeschäft, mit allem was dazugehört. Stapelweise Hunde- und Katzenfutter stehen im Raum und verbreiten einen intensiven Geruch, der Erinnerungen an die Kindheit weckt, an Besuche von Kuhställen und Landwirtschaftsmessen mit dem Vater. Einmal, als die Familie noch zusammen in Ipanema wohnte, aß er Hundefutter, nur um zu wissen, wie es schmeckt, und jetzt hat er den mehligen Geschmack und die sandige Konsistenz wieder im Mund. Die Hunde, die so etwas essen mussten, taten ihm leid. An der Wand hängt ein Poster mit Bildern von allen Hunderassen der Welt. Verblichene Fotos verschiedener Generationen von Beagles. Ein Plakat zum Thema Impfungen. An der Glastür ein großer Aufkleber mit der Zeichnung einer Kuh mit Gras im Mund, darunter der Schriftzug TIERE SIND FREUNDE, KEIN ESSEN. Hundehütten aus Plastik, gepolsterte Bettchen, Halsbänder und Shampoos in allen möglichen Farben. Er hört das schrille Bellen eines kleinen Tieres irgendwo im Haus.
Eine blonde Frau im weißen Kittel erscheint am Empfang.
Sind Sie der Besitzer der Hündin?
Sie hat einen Blutfleck an der Hüfte.
Ja.
Sie wurde überfahren, das wissen Sie, oder?
Ja. Wo ist sie?
Im Behandlungszimmer. Ihr Zustand ist stabil. Setzen wir uns ins Sprechzimmer, ich muss Ihnen ein paar Dinge erklären, bitte.
Sie setzen sich einander gegenüber an einen Schreibtisch, auf dem ein Bild von ihr und ihrem Mann steht, einem untersetzten Glatzkopf, der ihn an Jander erinnert, seinen Schwimmschüler, Besitzer eines Pet Shops.
Sind Sie zufällig die Frau von Jander?
Ja. Kennen Sie ihn?
Er ist mein Schwimmschüler.
Ah, Sie sind also der Trainer.
Er bejaht mit einem flüchtigen Lächeln und stützt seufzend den Kopf in die Hand.
Die Tierärztin erklärt, dass Beta sich das Oberarmbein gebrochen und eine Verletzung am Rücken hat, wahrscheinlich sind die Lendenwirbel L6 und L7 gebrochen, was bedeutet, dass sie gelähmt bleibt. Sie spricht mit Grabesstimme. Womöglich ist außerdem ihr Becken gebrochen. Ganz abgesehen von den Schürfwunden, die ziemlich schlimm sind. In einem Fall wie diesem, sagt sie, müsse man den Besitzer auf die Möglichkeit einer Euthanasie hinweisen.
Ich will sie nicht verlieren. Versuchen Sie, sie zu retten.
Natürlich wollen Sie das nicht. Aber vielleicht denken Sie nochmal darüber nach.
Kann man sie nicht operieren?
Doch. Aber selbst wenn sie überlebt, wird sie mit großer Sicherheit nicht mehr laufen können. Und sosehr Sie das Tier auch lieben, Sie sollten doch darüber nachdenken, wie es danach wäre. Es kann sein, dass sie sehr leidet, die Pflege ist schwierig, und sie wird eine Gehhilfe benötigen.
Aber es besteht eine Chance, dass sie wieder laufen kann?
Das ist so gut wie ausgeschlossen. Tut mir leid.
Kann ich sie sehen?
Besser nicht. Normalerweise erlauben wir es nicht. Und im Grunde wollen Sie das auch gar nicht. Glauben Sie mir.
Ich habe damit kein Problem.
Selbst wenn Sie Tierarzt sind, ändert das nichts daran. Es geht nicht darum, ob Sie es gewohnt sind, Blut zu sehen. Sie wollen das nicht sehen. Reden Sie lieber mit mir. Vertrauen Sie mir, ich habe das schon ein paar Mal erlebt.
Schweiß tropft von seinem Kinn. Er ist immer noch außer Atem. Ihm fällt auf, dass er nur Badehose und T-Shirt anhat.
Entschuldigen Sie bitte meine Aufmachung, ich bin direkt aus dem Schwimmbad hergelaufen.
Das macht gar nichts. Hören Sie, verzeihen Sie, wenn ich so darauf beharre, es tut mir wirklich sehr leid, und ich weiß, wie sehr Sie Ihr Hündchen lieben, aber ich muss nochmals betonen, dass es vielleicht das Beste wäre …
Greice heißen Sie,
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