Flut
tragisch ausgegangen sei, weil man sie gleich getrennt habe.
Der Gaúcho war ein charmanter Kerl, der einem aber auch Angst einjagen konnte, wenn du verstehst, was ich meine, sagt der Sänger. Ich war damals noch jung, ich hätte es mit jedem aufgenommen, aber dein Großvater hat mich eingeschüchtert, obwohl er ein ganzes Stück älter war als ich. Wir waren uns schon vorher bei einem Fest in irgendeiner Stadt in der Nähe der Grenze über den Weg gelaufen, wo genau, weiß ich nicht mehr. Er war der Meinung, ich sei ihm wegen irgendeines Mädchens in die Quere gekommen, aber das hatte er sich nur eingebildet. Beim ersten Mal hat er mich nicht im Geringsten beeindruckt, ich hatte schon mit ganz anderen Kalibern zu tun, aber beim zweiten Mal, hier auf diesem Platz, da war es anders. Da war er ein anderer Mensch, er schien wie besessen. Es ist schwer zu erklären. Ich glaube, er hatte tatsächlich den Verstand verloren. Was weißt du über deinen Großvater, Junge?
Im Grunde wenig. Das, was mein Vater mir erzählt hat, und das, was Sie mir jetzt erzählen. Ich hab ihn nie kennengelernt. Er war verschwunden, bevor ich geboren wurde. Anscheinend wurde er hier ermordet.
Meine Güte. Du siehst ihm wirklich sehr ähnlich. Ich glaube, er war etwas größer. Aber du bist dem Mistkerl wie aus dem Gesicht geschnitten.
Er holt das Foto aus der Brieftasche und reicht es Mascarenhas. Der Sänger wirft den Stummel seiner Zigarette ins Gras, bevor er es vorsichtig zwischen den Fingerspitzen hält. Ein Tamburin-Solo vermischt sich mit den Salven der Feuerwerkskörper.
Das ist er. Ein bisschen verändert, aber das Gesicht vergess ich nicht.
Inwiefern verändert?
Ich weiß nicht. Man trifft in seinem Leben vielleicht ein halbes Dutzend Menschen, die einen solchen Eindruck in einem hinterlassen. Leute, die einem irgendwie Angst machen, als hätten sie etwas Böses in sich, aber nur für den Menschen, nicht für die Natur. Ich kann mich an einen Mann erinnern, den ich vor Jahren einmal auf einem Viehmarkt in São Jerônimo kennenlernte. Weißt du, wo das ist? Ich hatte einen Auftritt dort, und am nächsten Tag ging ich mir ein paar Rinder ansehen, die jemand einem Bekannten von mir verkaufen wollte. Ein Stück weit im Landesinneren. Der Typ sagte, er wolle mir etwas zeigen, ein seltsames Geschöpf, das am Ende des Tals in einem verfallenen Haus lebte. Wir ritten einen steilen Weg hinunter, und ganz am Ende stand das Häuschen aus Stein und Lehm, uralt und verwahrlost, fast schon eine Ruine, und darin wohnte ein alter Mann mit dunkler, runzliger Haut und weißen Haaren, die ihm bis auf die Schulter fielen … ohne alles lebte der dort. Mit einem Wasserkessel und einem Dolch. Er schlief bei den Schweinen. Aber offenbar hatte der Kerl irgendwo in der Gegend Geld versteckt. Ich hab nicht verstanden, ob es richtig viel war, jedenfalls genug, um es zu verbuddeln. Sein Sohn hatte wohl ein Auge darauf geworfen, er war in die Stadt gezogen und wartete nur darauf, dass der Alte starb, um sich den Zaster zu holen. Der Vater wollte nichts von ihm wissen, er meinte, er sei ein Taugenichts, und er solle sich bloß nicht blicken lassen. Er sagte, sein Sohn habe gedroht, ihn umzubringen, und dass er schon seit Monaten auf den Dreckskerl warte. Er hatte eine Pistole vom Anfang des Jahrhunderts, so groß ungefähr. Total verrostet. Die hätte keinen Schuss mehr abgegeben, aber der Alte schlief mit dem Ding in der Hand, es war richtig tragisch, wie er da saß und darauf wartete, sich mit seinem Sohn zu duellieren, und dabei wie einTier im Wald lebte. Aber in seinem Blick war etwas, ganz tief in seinen kleinen Augen, kaum zu sehen. Es steckte eine Wut darin, dass es einem eiskalt den Rücken runterlief. Und bei deinem Großvater hab ich dasselbe gesehen. Beim ersten Mal nicht, wie gesagt, erst später hier in Garopaba. Er hatte sich verändert. Frag mich nicht, woher so was kommt. Das ist die dunkle Seite der Welt. Von so etwas bekomme ich Albträume.
Wissen Sie, was aus ihm geworden ist?
Aus dem Gaúcho?
Aus dem Alten in seiner Ruine.
Ja. Er starb mit der Pistole in der Hand und wurde von seinen Schweinen gefressen.
Verdammt.
Sein Sohn fand die Leiche, aber das Geld nicht. Was sagt man dazu?
Und mein Großvater? Haben Sie von ihm nochmal etwas gehört?
Danach nicht mehr. Als ich das nächste Mal herkam, wunderte ich mich, nirgends ein Lebenszeichen von ihm zu entdecken. Nicht nur, dass er verschwunden war. Es redete auch niemand über ihn.
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