Flut
mit dem rhythmischen Fegen der Wellen unter seinem Fenster verschmelzen.
Am Samstagnachmittag ist es auf dem Fest wieder brechend voll. Er verfolgt das Kommen und Gehen der Grüppchen Jugendlicher, ihre Verwicklungen, Flirts und Intrigen. Sie wechseln in einem Augenblick von Lachen zu Ernst, von selbstbewusster Pose zum verlorenen Blick. Liebespaare flanieren unbeschwert und stolz vorbei, reiben die Gesichter aneinander und tauschen Wärme aus. Die weniger Verliebten finden sich damit ab, ein notwendiges Ritual zu absolvieren, und dann gibt es noch die, die offenbar unfreiwillig zusammen sind und sich nur zeigen, um einer Verpflichtung nachzukommen. Manche führen ihre Partner wie eine Trophäe vor, sie brüsten sich damit, eine Hand zu halten oder eine Schulter zu umfassen, deren Besitzer, wie jeder sehen kann, das nicht wünschen oder es nur dulden. Aus den Blicken mancher Paare spricht der pure Hass. Die Einzelgänger sind größtenteils ältere Fischer in Bundfaltenhose und Wollhemd, manche tragen Anzug und Hut. Erhobenen Hauptes laufen sie über den Platz, ihrer verdienten Autorität gewiss. Für die Älteren ist die Kirmes die Gelegenheit, sich in Schale zu werfen, die Sitten der jüngeren Generationen scheinen sie eher kritisch zu beäugen. Sie stehen an einem der Stände und trinken etwas oder irren von einem Ende zum anderen, ohne recht zu verstehen, was vor sich geht. Beeindruckt scheinen sie nicht. Wahrscheinlich wundern sie sich über gar nichts mehr.
Als erste Attraktion an diesem Samstagnachmittag wird auf der Nebenbühne ein Theaterstück mit pädagogischemHumor und ökologischem Anliegen aufgeführt. Drei Schauspieler in hautengen schwarzen Anzügen spielen Dialoge und Witze, in denen es um Abholzung, Erderwärmung und das Ozonloch geht, das in Wirklichkeit gar kein Problem sei, schließlich müsse man sich nur Sonnenschutzfaktor 349 auf die Haut und 686 ins Gesicht schmieren, oder, Leute?, und um Pestizide und Hormonbehandlung in der Viehzucht, die, dem Text des Stückes zufolge, daran schuld sind, dass Männer impotent werden und Mädchen mit neun Jahren menstruieren. Es wird Abend. Zur Miss-Mini-Wahl erscheinen zehn Mädchen, die neun oder zehn Jahre alt sind und jeweils für ihre Schule antreten. Eine nach der anderen laufen sie vor der dreiköpfigen Jury, darunter der Pfarrer der Gemeinde, auf und ab und posieren dann für das Publikum. Sie tragen ländliche Kostüme, karierte Kleidchen, Rüschen und Schleifen im Haar. Manche erweisen sich als schüchtern und unbeholfen, andere imitieren die Bewegungen von Models, mit groteskem Ergebnis. Der Moderator fragt die Mädchen, ob sie etwas sagen wollen, woraufhin sie erzählen, wie sie heißen, wie alt sie sind, von welcher Schule sie kommen, was in einigen Fällen schwer auszusprechen ist, und warum sie gern dorthin gehen. Ein paar haben Texte über ihre Gemeinde oder ihr Viertel auswendig gelernt, aber die, die improvisieren, bekommen am meisten Beifall, vor allem, wenn sie sich verhaspeln und Schwäche zeigen. Die kleinste von allen hat einen kompletten Aussetzer, sie vergisst ihren Text und starrt stumm ins Publikum. Dann fängt sie an, ihren Körper kreisen zu lassen und dabei stumpf zu lächeln, bis sie unter Applaus von der Bühne geholt wird. Die Gewinnerin kommt von der Escola Pinguirito, auf der auch Pablo ist. Sie läuft nochmal über die Bühne und erhält ein unidentifizierbares Geschenk. Danach wird die Miss-Teenage gewählt. Es gibt nur drei Konkurrentinnen, alle haben breite Hüften, geglättete Haare und sind stark geschminkt. Die Repräsentantin der Gemeinde Areias do Macacu ist mit Abstand die hübscheste, aber Gewinnerin wird die Kandidatin von Rádio de Garopaba, die sehr viel stylischer ist. Alle drei bekommen riesige Blumensträuße, fast so groß wie sie selbst. Vor der Bühne wird Platz für den Bändertanz einer Seniorengruppe geschaffen. Die Alten in ihren Dorftrachten singen und tanzen und halten die Enden bunter Bänder fest, die in der Mitte an einem Pfahl befestigt sind, die Choreographie richtet sich dabei nach den über Mikrofon vorgetragenen versförmigen Kommandos eines Sängers. Sie wechseln Tanzpartner und Laufrichtung und verflechten so die Bänder auf vertrackte Weise. Er findet das schön, aber das Publikum verliert das Interesse und wird immer lauter. Die beiden Gewinnerinnen der Misswahlen sind auf die Bühne gerufen worden, um den Senioren zuzusehen, aber nur die Kleine ist gekommen und steht jetzt seit
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