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Flut

Flut

Titel: Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Galera
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Plastikbecher und verströmt einen säuerlichen Schweißgeruch. Sein breitkrempiger Hut liegt auf dem Tresen, das volle, schwarz-weiß schattierte Haar ist fettig und klebt ihm an der Kopfhaut. Neben ihm steht ein etwa dreizehnjähriges Mädchen, das schwarze Haar zum Pferdeschwanz gebunden, mit großen wachen Augen und indianischen Zügen. Er spricht mit einem kleinen Mann, der ebenfalls Pumphose trägt, darüber ein Hemd und eine braune Lederjacke. Als Mascarenhas ihn kommen sieht, mustert er ihn von Kopf bis Fuß und redet dann weiter, als wäre nichts gewesen. Er stellt sich vor den Sänger und sagt Guten Abend. Als Mascarenhas den Gruß erwidert, schlägt ihm ein Mundgeruch entgegen, dass er fast ohnmächtig wird, und in diesem Moment erinnert er sich anein Detail aus dem letzten Gespräch mit seinem Vater. Die Jahrzehnte haben das Problem offensichtlich nicht lösen können. Zu allem Überdruss raucht der Sänger eine starke Maiszigarette und kaut haufenweise Erdnüsse aus einer Schale auf dem Tresen.
    Ihr Auftritt hat mir sehr gefallen, sagt er und streckt ihm die Hand entgegen. Der Sänger ergreift sie mit seiner steinharten Pranke und lächelt.
    Besten Dank, mein Junge.
    Ohne weitere Umschweife kommt Mascarenhas mit seiner warmen, von unablässigem Mate- und Tabakgenuss aufgerauten Stimme zur Sache.
    Junge, du siehst genauso aus wie ein Kerl, den ich vor vielen Jahren hier in Garopaba kennengelernt habe.
    Índio kommt seit den sechziger Jahren her, mischt sich der Kleine ein. Der Mann hat schon einiges erlebt!
    Hör mal, tchê , du hast mir einen ganz schönen Schrecken eingejagt, fährt Mascarenhas fort. Ich dachte schon, ich sehe Gespenster.
    Dachtest du, ich sei der alte Gaúcho?
    Mascarenhas runzelt die Stirn und wendet sich theatralisch ab. Verdammt, sagt er, und dann sagt er nichts mehr, sondern steckt sich eine Hand voll Erdnüsse in den Mund.
    Ich bin sein Enkel. Mein Vater hat mir von eurer Begegnung erzählt. Es gab einen Streit, wenn ich mich nicht irre.
    Ja, doch. Einen Streit. Mein Gott. Wie lange ist das her? Damals bestand die Kirmes aus zwei Ständen und einer winzigen Bühne im Gemeindesaal.
    Das Mädchen zupft Mascarenhas am Ärmel.
    Was denn, Prinzessin? Das ist meine Tochter. Noeli. Bist mit deinem Papa auf Reisen, was? Was möchtest du denn, meine kleine Sumpfrose?
    Das Mädchen fragt nach Geld, um sich auf der anderen Seite vom Platz einen Liebesapfel zu kaufen. Der Kleine holt ein Bündel Scheine aus der Tasche und gibt ihr fünf Reais. Siebedankt sich schüchtern und läuft mit dem Schein in beiden Händen los.
    Lauf außen rum, da sind nicht so viele Leute!, ruft der Vater ihr nach. Seitdem die Turma do Pagode auf der Bühne steht, kommen immer mehr Menschen dazu.
    Die Kleine ist noch nie aus Bagé rausgekommen, sagt Mascarenhas. Du bist immer weg, Papa, hat sie sich beschwert. Dann komm doch mit, hab ich zu ihr gesagt. Inzwischen waren wir in Toledo, Cascavel und Pomerode. Heute hat sie im Meer gebadet, und morgen fahren wir nach Bom Jesus und danach nach Amaral Ferrador. Und dann geht’s nach Hause, sie muss ja wieder zur Schule.
    Índio spielt überall in Brasilien, sagt der Kleine. Anfang des Jahres warst du am Amazonas, stimmt’s?
    Stimmt.
    Damals in den Siebzigern haben wir in Uruguaiana noch zusammen gespielt.
    Ja. Homero war mein Partner, und jetzt ist er mein Agent hier in Garopaba. Der eine hat Karriere gemacht, der andere ist Künstler geblieben. Ich werde arm und alt sterben.
    Sie wollten mir von dem Gaúcho erzählen.
    Der Gaúcho. Und du bist sein Enkel, ja?
    Genau.
    Mascarenhas zieht kräftig an seiner Zigarette, bis das Maisblatt Funken sprüht, und redet dann weiter, während ihm der Rauch aus Mund und Nase quillt.
    Wie kann das angehen? Nach allem, was ich erlebt hab, schafft es der Teufel immer noch, mir einen Schrecken einzujagen. Meine Güte. Trinkst du einen Schnaps mit?
    Sicher.
    Er trinkt einen Schluck von einer gelblich trüben Flüssigkeit. Índio Mascarenhas krempelt den Ärmel hoch und zeigt ihm eine fünf bis sechs Zentimeter lange Narbe, die in einer dunklen Wulst mitten auf dem Arm endet. Mit lauter Stimme, um die Musik zu übertönen, und beißendem Mundgeruch, vom dem sein Großvater, seinem Vater zufolge, damals meinte, er rieche wie ein toter Pampasfuchs aus dem Arsch, erklärt Mascarenhas, die Narbe habe ihm der Gaúcho mit seinem Messer auf der Kirmes vor vierzig Jahren zugefügt. Es sei ein schlimmer Streit gewesen, der nur deswegen nicht

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