Flut
Neoprenanzug, in der einen Hand das Ruder, in der anderen eine Harpune. Er läuft die kleine Treppe hinunter und unterhält sich mit ihnen. Sie wollen rausfahren, um bei den Riffs zirka anderthalb Kilometer vor der Küste zu fischen. Obwohl er nicht die entsprechende Ausrüstung hat, bittet er sie, ihn mitzunehmen. Sie willigen ein. Er läuft nach Hause und holt Flossen, Schwimmbrille, ein Päckchen Kekse und die Harpune, die ihm Bonobo geschenkt hatte. Er cremt sich das Gesicht ein und zieht seine Badehose und ein altes langärmliges T-Shirt an. Dann schließt er die Fenster, läuft die Steine runter und durch das Wasser zum Boot. Der Mann im Tarnanzug warnt ihn, er werde frieren, und gibt ihm eine wasserdichte Ersatzjacke. Der Motor springt gurgelnd an und treibt das Boot gegen die Wellen aufs grüne Meer hinaus. Er fragt nach ihren Namen, und erst jetzt stellt er fest, dass der Mann im Tarnanzug Matias ist, Dona Cecinas älterer Sohn. Der Himmel ist bewölkt, und der Wind wird stärker, je näher sie der Ponta da Vigia kommen. Antenor, Matias’ Freund, bringt den Motor auf Hochtouren. Das Boot springt über die Wellen und knallt aufs Wasser. Er krallt sich an den Halteseilen fest und steckt die Füße in die Einbuchtung zwischen Boden und aufblasbarer Seitenwand. Eiskaltes Wasser spritzt ihm ins Gesicht. Matias bietet ihm eine Tablette gegen Übelkeit an, die er dankend ablehnt. Die Stadt verschwindet in der Ferne, und es wird immer deutlicher, warum die Bucht als Zufluchtsort vor dem rauen Meergilt, warum Seefahrer, Fischschwärme und Wale sich an dieses kleine Stück Küste verirren, auf der Suche nach einem ruhigen Plätzchen, das von Land aus nicht unbedingt als solches zu erkennen ist. Die Wellen, die schon von Weitem groß aussahen, nehmen auf hoher See gewaltige Ausmaße an, und je weiter sie sich vom Festland entfernen, desto verlassener fühlt er sich. Der Schaum schlägt ausgelassen gegen die Steilküste. Bald schon nähern sie sich den Klippen. Nur wenige Spitzen ragen aus dem Wasser heraus, um sie herum ist das Meer weithin ruhig. Schwarze Fregattvögel segeln mit ihren schmalen Flügeln und tief gegabelten Schwänzen über ihnen, suchen das Meer ab und stoßen wie Pfeile hinein.
Antenor drosselt die Geschwindigkeit und umfährt langsam die felsigen Untiefen, während er mit Matias berät, wo sie am besten ankern. Matias zeigt auf eine Stelle zwischen den Klippen. Die beiden spannen die Harpunen, steigen in ihre Flossen, stecken die Messer in die Halterung am Schienbein und setzen die Schnorchel auf. Matias geht zuerst ins Wasser. Er schwimmt ein Stück in Richtung Felsen und zieht seine Signalboje hinter sich her, dann taucht er unter. Er zählt mit, wie lange er wegbleibt. Eine Minute und fünfzehn. Als Nächster verlässt Antenor das Boot, er schwimmt in die andere Richtung, ein Stück weiter nach links, und lässt sich dann von den zehn Kilo Bleigewichten an seinem Anzug in die Tiefe ziehen. Er bleibt noch eine Weile auf dem schaukelnden Boot und beobachtet die beiden. Dann zieht er seine Trainingsflossen an, die viel kürzer sind als Taucherflossen, setzt die Brille auf, zieht das T-Shirt aus, nimmt die Harpune und gleitet ins eiskalte Wasser.
Als er in die Nähe der Felsen kommt, holt er tief Luft, taucht und lauscht unter Wasser der flirrenden Sinfonie der Meerestiere, ein Klang, den er schon mehrmals an anderen Stränden in der Nähe der Felsen gehört hat, aber nie mit dieser Intensität. Ein beängstigendes Rattern, Milliarden von Zangen und Zähnen, die aufeinanderschlagen und in denHohlräumen widerhallen. Durch die Schwimmbrille erkennt er nur die Umrisse der Felsen direkt vor ihm. Das Konzert der Meerestiere endet abrupt, als er den Kopf aus dem Wasser hebt, nicht mal das Rauschen des Meeres und des Windes stören die plötzliche Stille. Zwei verschiedene Welten.
In dieser trüben Landschaft aus Felsen und Korallen entdeckt er nur unbekannte kleine Fische und Tiere. Keine Spur von Schwärmen, geschweige denn von Zackenbarschen, hinter denen sie eigentlich her sind. Matias hat ihm geraten, Ausschau nach Spalten und Höhlen zu halten, in die sie sich gern zurückziehen. Meistens werden Exemplare von um die zwei, drei Kilo gefangen, manchmal sind es fünf und mit Glück acht, ein Zackenbarsch von zehn Kilo ist eine Trophäe. Nicht zu vergleichen mit denen, die sein Großvater vor Jahrzehnten gefangen haben muss, als die Fische nicht selten dreißig oder vierzig Kilo schwer wurden. Zig
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