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Flut

Flut

Titel: Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Galera
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seinen Hals. Er fährt mit den Händen unter ihre Trainingsjacke und schiebt sie an ihrem heißen, verschwitzten Bauch hoch. Seine Finger schlüpfen unter ihr Oberteil und legen sich auf die kleinen Brüste. Sara küsst ihn schüchtern. Es ist eher ein vorsichtiges Berühren der Lippen, jedenfalls alles andere als der gierige Kuss, den er erwartet hätte. So ist sie. Ein Teil des Reizes liegt darin, nie genau so zu sein, wie man es sich vorstellt. Sie kniet sich hin und nimmt seinen Schwanz in den Mund. Er greift in ihren Pferdeschwanz. Sie hält kurz inne und sagt, Nur dieses eine Mal, ja? Versprochen.
    Bevor er mit dem Bus nach Florianópolis fährt, schaut er bei der Tierärztin vorbei. Greice ist gut gelaunt und begrüßt ihn mit Wangenküsschen. Er erkundigt sich nach Jander, und sie erwidert, es gehe ihm bestens. Was waren das für schöne Tage in letzter Zeit, oder? Komm, sehen wir uns dein Hündchen an. Der Zwinger befindet sich im hinteren Bereich der Klinik. Er ist in ein Dutzend Einheiten unterteilt, die Mauern aus Stein, die Vorderseite vergittert. Manche sind oben offen, darin sind die Tiere untergebracht, die am meisten Fürsorge benötigen. Beta liegt in einer dieser Einheiten auf einem Tuch. Auf dem Boden stehen zwei Schüsseln mit Wasser und Futter, der Rest ist mit Zeitungen ausgelegt. Kaum hat sie ihn gesehen oder gewittert, macht sie Anstalten, sich zu rühren. Eine Vorderpfote ist verbunden. Teile des Fells sind abgeschabt und mit Pflastern oder verkrustetem Narbengewebe bedeckt. Sie hat ein Stück von ihrem Ohr verloren. Greice sagt, die Wirbelsäule sei nicht gebrochen. Es sei ein Ödem gewesen. Sie öffnet die Gittertür und streichelt sie. Sieh mal.Greice hebt die Hündin vorsichtig hoch. Beta steht auf allen vieren, bewegt sich aber nicht.
    Die Beweglichkeit kommt langsam wieder. Ich kann noch nicht sagen, ob sie wieder normal laufen wird. Das müssen wir abwarten. Aber die Kleine ist eine Kämpferin. Wirklich erstaunlich. Diese Rasse steckt einiges weg.
    Greice macht ihm Platz. Er zwängt sich in den engen Käfig, hockt sich hin, streichelt ihren Hals und flüstert ihr dabei ins Ohr. Du wirst wieder laufen. Nicht wahr? Heute muss ich wegfahren, aber übermorgen bin ich wieder da, und dann komm ich dich jeden Tag besuchen, okay?
    Die Tierärztin legt sie wieder hin.
    Wie lange muss sie hierbleiben?
    Zwei Wochen. Mindestens.
    Auf der eineinhalbstündigen Fahrt im Bus nach Florianópolis muss er mehrmals lachen, während er darüber nachdenkt, wie sich manchmal doch alles zum Guten wendet, wenn man nicht damit rechnet. Die Hündin kann stehen. Sara ist weiter zum Training gekommen, bedacht darauf, so zu tun, als sei nichts vorgefallen. Das Wasser war in letzter Zeit so warm, dass er nur noch in Badehose schwimmen war. Die ambitionierteren Schüler sind, obwohl der Winter naht, immer noch dabei und schwimmen immer besser. Regelmäßig grüßen ihn Leute auf der Straße, die er erst nicht erkennt, aber meistens geht er zu ihnen und fängt ein Gespräch an, bis er weiß, wer sie sind. Die Nächte vergehen wie im Flug und bringen erholsamen Schlaf. Der Tag duftet nach Ozon und Meer. Das Grün der Wälder pulsiert an den Berghängen entlang der Küste, und die von den Fenstern eingerahmten spitzen Gebirgskämme lassen das Rätsel unberührter Natur erahnen. Das Schaukeln des Busses wirkt beruhigend, und die vorbeigleitende Landschaft verändert seinen Blick auf das Offensichtliche. Wie erstaunlich es ist, dass all die Dinge um ihn herum tatsächlich da sind. Dass er da ist, und dass er sie wahrnehmen kann. Er hat das Gefühl, stillzustehen und gleichzeitig in Bewegung zu sein, und er erinnert sich daran, wie seine Eltern ihm erzählt haben, dass sie, als er noch ein Baby war, immer mit dem Auto durch die Gegend gefahren sind, damit er einschlief. Auf dem Sitz schräg gegenüber schläft ein Mädchen auf dem Schoß ihres Freundes, ihre Füße liegen ausgestreckt auf dem Gang, er sieht ihre türkis lackierten Fußnägel, die tätowierte Maya-Sonne am Knöchel, die Hand des Jungen, die über ihre karamellfarbene Wade streicht. Die ganze Anordnung erinnert ihn an etwas, das er schon mal erlebt hat und von dem er nicht weiß, ob er es vermisst. Einerseits ja, andererseits nein. Es ist weniger die nostalgische Erinnerung an etwas, das nicht mehr da ist, als die tröstende Gewissheit, dass es existiert und weiterhin Teil dieser Welt ist.
    Während der zwei Stunden Wartezeit auf dem Busbahnhof in

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