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Flut

Flut

Titel: Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Galera
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später Probleme.
    Am nächsten Tag trifft er sie spät nachmittags nach der Arbeit vor ihrem Büro. Sie macht gerade zu und gibt ihm auf eine, wenn auch freundliche, so doch unmissverständliche Art zu verstehen, dass er aus irgendeinem Grunde stört. Ihr offenes Haar ist wunderschön. Als sie sich vorbeugt, um ihn kurz auf die Wange zu küssen, streichen die trockenen Locken über sein Gesicht. Er kann ihren Schweiß riechen und würde sie am liebsten auf der Stelle an sich reißen. Ihm fallen nur Banalitäten über das Wetter und die Arbeit ein. Er wünschte, er hätte alle Zeit der Welt, sich ihr Gesicht neu einzuprägen, aber jetzt muss es schnell gehen, und am besten unbemerkt, bevor sie wissen will, warum er sie wie ein Geisteskranker anstarrt. Sie hat kleine Aknenarben an den Wangen und eine größere, ovale oberhalb des Schlüsselbeins. Während sie ihren Helm aus dem Büro holt und die Tür abschließt, beantwortet sie gelangweilt irgendeine Frage, die er ihr gestellt hat. Unter der Woche ist nicht viel los, sie verbringt die meiste Zeit damit, E-Mails zu beantworten und die wenigen Touristen, die vor Freitagnachmittag ins Büro kommen, für Ausflüge einzuschreiben. Erst dann wird der Andrang größer. Mit dem rosafarbenen Helm überm Arm steigt sie auf ihr Motorrad, eine rote, ziemlich verschlissene Honda CG 125, wahrscheinlich gebraucht gekauft. Sie trägt Jeans-Shorts, schwarze Leggings und braune Stiefeletten. Frau und Motorrad schaukeln wie ein unbeholfenes Tier aufs Kopfsteinpflaster. Er gibt sich einen Ruck und fragt, ob sie nicht mal etwas zusammen machen wollen. Oder vielleicht auch jetzt ein Bier trinken. Sie sagt, dass sie nicht trinkt, wenn sie Motorrad fährt, und tritt auf den Kickstarter, aber es springt nicht an. Sie setzt zu einem zweiten Versuch an, stellt dann aber doch den Fuß auf denBoden und holt ihr Handy aus der Hosentasche, um ihn nach seiner Nummer zu fragen. Ich hab heute schon was vor, sagt sie. Ich passe auf die Kinder einer Freundin auf, die zum Jack-Johnson-Konzert nach Florianópolis will. Aber ich ruf dich bald an, und dann gehen wir was trinken, okay? Wunderbar. Viel Spaß mit den Kleinen. Die sind total süß, ich hoffe trotzdem, dass sie schnell einschlafen. Ich nehm ein Buch und drei DVDs mit. Und vorher hol ich mir noch einen Riesenbecher Eis bei Gelomel. Super Plan, Jasmim. Sie tritt noch einmal auf den Kickstarter, und diesmal springt das Motorrad an. Sie setzt den Helm auf, gibt vorsichtig Gas und biegt in die erste Straße links hinter der Brücke ein.
    Sie ruft nicht an. Die Woche vergeht, und er ärgert sich maßlos, sie nicht nach ihrer Nummer gefragt zu haben. Andererseits will er sie auch nicht nochmal bei der Arbeit behelligen. Zwei Mal läuft er an der Glasscheibe ihres Büros vorbei und winkt ihr kurz zu. Sie grüßt zurück, macht aber kein Zeichen, dass er reinkommen soll. Er starrt ständig auf sein Handy, lädt es regelmäßig auf und hat es immer griffbereit. Dauernd sieht er nach, ob Nachrichten oder Anrufe in Abwesenheit eingegangen sind, was in den letzten Monaten kaum vorgekommen ist und ihn auch nicht mehr interessiert hat. Er will, dass es von ihr ausgeht, dass sie ihn anruft oder ihn reinbittet. Wenn die Initiative nochmal von ihm ausginge, würde er damit alles aufs Spiel setzen, glaubt er. Morgens sieht er Paare warm eingepackt mit Mate und Zeitschriften auf der Strandpromenade in der Sonne sitzen und stellt sich sie beide in derselben Situation vor. Er stellt sich vor, wie sie zusammen in seinem Bett schlafen und sich ihre warmen Körper aneinanderschmiegen, eingelullt vom Brechen der Wellen. Er malt sich aus, wie sie zusammenleben und ein Kind haben, und je mehr er sich über sich selbst lustig macht und versucht, diese Bilder zu unterdrücken, desto genauer schmückt er sie aus, und desto härter fühlt sich der Kontrast zwischenihnen und der Realität an, wenn er morgens allein aufwacht und ihn der immer gleiche Tagesablauf erwartet. Die Routine, die er sonst so schätzt, löst jetzt ein ständiges Gefühl der Machtlosigkeit aus. Er fühlt sich krank. Freitagmorgens hat er die idiotische Idee, ihr ein Geschenk zu kaufen, am Nachmittag ist aus dieser Idee eine alles beherrschende Obsession geworden, und abends radelt er durch die Stadt auf der Suche nach Boutiquen und Geschenkläden, die auch im Winter geöffnet haben, ohne die geringste Idee, was ihr gefallen könnte. Schließlich landet er im Buchladen. Die Verkäuferin schlägt ein paar

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