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Flutgrab

Flutgrab

Titel: Flutgrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meister Derek
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des Minotaurus vorzudringen, in dem ein Menschen verschlingendes Ungeheuer lebte.
    Der Florenzer hatte nichts Stierhaftes an sich, sondern erinnerte Rungholt durch seine spindeldürre, kahle Gestalt und seine Gichtfinger eher an einen verknorpelten Krebs. Zu viele Arme, kalte Augen und tödliche Scheren.
    Sie bogen zwei weitere Male ab und erreichten eine mit Eisen beschlagene Tür, die von zwei Relieftafeln geziert wurde. Engel, die sich vom lieblichen Duft der Lilien betören ließen. Der Türklopfer, ein Löwe, wollte jedem die Hand abbeißen.
    Während de Kraih die Tür ohne zu klopfen aufstieß, holte Rungholt noch einmal Luft. Die Narben auf seinem rechten Handrücken hatten zu jucken begonnen. Er widerstand dem Drang zu kratzen und drückte den Rücken durch. Trotz der Verletzung wollte er nicht wie ein Bückling vor dem Florenzer erscheinen.
    »Scheiße«, hörte er d’ Alighieri poltern. »Das hat lange gedauert, de Kraih.«
    »Verzeiht Herr, aber Rungholt hatte einen Kampf. Er …«
    »Kampf?«
    Rungholt trat durch die Tür und setzte ein Lächeln auf.
    D’ Alighieris hagere, bleiche Erscheinung war beeindruckend im Schein der zwei Dutzend Öllampen, die ringsum standen. Ein blaues Gewand aus Brokat umfloss seine ausgezehrte Gestalt und strömte, einem Wasserfall gleich, an ihm herab, um sich über seine Schnabelschuhe zu ergießen. Ihre Spitzen lugten unter der schweren Houppelande hervor. Der Stoff drückte die Bänder herunter, mit denen d’ Alighieri sie an seinen Beinen befestigt hatte.
    Der Florenzer saß auf einem Thron. Zumindest kam es Rungholt so vor, denn der Bankier hatte seinen hübsch gedrechselten Walnussstuhl auf Kisten gestellt. Von da oben hatte er seine drei Prokulanten, die unablässig auf Wachstafeln jedes Wort mitschrieben, besser im Auge.
    Und jeder muss zu dir aufblicken, du stinkender Aasfraß.
    »Tretet ein. Tretet ein.« D’ Alighieri lehnte sich vor und musterte den Besuch. »Scheiße, Ihr seid ja ganz nass.«
    »Er wurde auf dem Heimweg überfallen, konnte die Männer aber in die Flucht schlagen. Ein Messer traf seinen Rücken.« De Kraih verbeugte sich und machte Rungholt Platz.
    Zögerlich trat Rungholt näher an den lächerlichen Kistenthron, während hinter ihm zwei Leibwachen die Tür verstellten.
    »Porca vacca«, ätzte d’ Alighieri und stand auf. Er konnte das schlechte nordische Wetter nicht leiden und hatte sich über die Jahre angewöhnt, ständig zu fluchen. Er hasste einfach alles an Lübeck: Das Wetter, die Kaufleute, die Backsteinhäuser und engen Gassen. Wahrscheinlich, dachte Rungholt, hasst er unsere Stadt, weil er sie kaum zu Gesicht bekommt und sich über ihre Pracht nur Erzählungen anhören muss.
    Du hast dir hier in deinem Labyrinth dein eigenes kleines Königreich erschaffen, dachte Rungholt. Und deine Blicke gefallen mir nicht.
    Tatsächlich schienen sie nicht seinen nassen Lodenmantel zu mustern, sondern etwas an ihm zu suchen. Rungholt schauderte. Er war sich nicht sicher, aber lächelte d’ Alighieri? Schwer zu sagen, ob diese schmalen, blauen Lippen dazu überhaupt fähig waren.
    Der Bankier räusperte sich. »Einen Kampf sollte man wohl lieber meiden. Mit unserem … Rungholt.«
    Es war das erste Mal, dass er den Bankier seinen Namen aussprechen hörte. Abermals lief ihm ein Schauer über den Rücken. Aus d’ Alighieris Mund klang es eher nach Unhold. Sein Name bekam mit einem Mal etwas Grobschlächtiges, Unanständiges. Rungholt war sich nicht sicher, ob seine Worte eine Anspielung sein sollten. Wusste der Florenzer etwas über den Kampf in seiner Jugend? Über das Massaker im Schnee? Irena? Oder lag es schlicht an d’Alighieris Dialekt?
    Unhold.
    »Wiesberg!«, rief d’ Alighieri seinen Leibarzt und schwang einen goldenen Kratzstab. »Kommt und helft Rungholt. Schaut nach seiner Wunde.« Er musste lachen. »Purgieren ist bei ihm wohl nicht vonnöten, Wiesberg. Scheiße auch: Seine Säfte werden gleich mehr als in Wallung geraten.« Er grinste Rungholt kalt an und winkte auch einen seiner Schreiber zu sich.
    »Was meint Ihr? Ich bin im Rückstand. Das weiß ich wohl. Aber deswegen ruft Ihr doch nicht nach mir? Mitten in der Nacht?«
    »Ich hasse den Schlaf, Rungholt. Ihr nicht auch?« D’ Alighieri fuhr sich mit dem Kratzer ins Gewand und rieb seine Beine. Das Ergebnis gefiel ihm offenbar nicht, denn mürrisch entblößte er seine dünnen Schenkel. Anscheinend war er unter seinem Überkleid nackt.
    Mit einem Knurren schob Rungholt

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