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Flutgrab

Flutgrab

Titel: Flutgrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meister Derek
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Compesce mentem.«
    Hatte der Florenzer ihn gerade beleidigt? Rungholt verstand kaum Latein. Er setzte ein Lächeln auf. »Es ist spät. Langweilt mich nicht mit Floskeln.«
    »Nun denn.« Mit einem Mal stand d’ Alighieri auf. Instinktiv wich Rungholt einen Schritt zurück. Der Florenzer war gute zwei Meter groß, aber spillerig wie ein Birkenstamm. Zwei seiner Schreiber ließen das Kritzeln sein, eilten zu ihm und halfen ihm von den Kisten. Wiesberg brachte Holzpantoffeln und raffte d’ Alighieri die Houppelande hoch.
    Sehr behutsam, als könnte er bei jedem Schritt zerbrechen, schob der dürre d’ Alighieri sich zu Rungholt vor. Das Licht der Öllampen spiegelte sich in seinen schwarzen Augen und verlieh seiner Haut die Farbe von vergorener Milch.
    Rungholt zwang sich, keinen weiteren Schritt zurückzuweichen, strengte sich an, dem Mann in die Augen zu blicken.
    D’ Alighieri beugte sich vor, und Rungholt meinte, Hirschtalg selbst im Atem des Florenzers zu riechen. Einen Moment studierte d’ Alighieri Rungholts Augen, dann zischte er vertraulich: »Ihr werdet das Darlehen nicht zahlen können, also will ich nur eins von Euch … Eure Brauerei.«
    »Meine Brauerei?«
    »Das Doppelhaus an der Hundegasse. Mit Sudkessel und allem, was darin ist. Und ich will dein Scheiß-Grutrecht sowie alle Bestellungen und deine Fracht- und Kundenlisten.«
    Verärgert bemerkte Rungholt, dass d’ Alighieri begonnen hatte, ihn zu duzen. Am liebsten hätte er dem Kerl den Hals aufgeschnitten. Was er hier vortrug, war kein Angebot, sondern eine Beleidigung.
    »D’ Alighieri!« Rungholt trat derart forsch auf den Florenzer zu, dass dessen Wachen nervös nach ihren Schwertern griffen. »Ihr beleidigt mich! Ihr holt mich mitten in der Nacht her, um meine Ehre zu kränken und mir ins Gesicht zu sagen, ich könnte meine Schulden nicht zurückzahlen?«
    »Gut erkannt …« Statt zurückzuweichen, lächelte d’ Alighieri bloß. »Scheiße, Rungholt. Lasst Eure Fäuste unterm Mantel. Ihr mögt Handelsrouten kennen. Ihr mögt wissen, was die Menschen in zwei Monaten oder drei Jahren zu kaufen wünschen. Ich jedoch, ich kenne meine Kunden. Ich kenne ihre Bücher. Vaffanculo, ich kenne manche Gläubiger besser, als sie sich selbst kennen.«
    Seine schwarzen Augen schienen Rungholt zu durchdringen.
    »Euer Novgorodgeschäft ist wegen der Vitalienbrüder zusammengebrochen. Ergo keine Einnahmen. Scheißpack, diese Serovere. «
    Rungholt öffnete den Mund, aber d’ Alighieri fuhr an seiner statt fort: »Euer Schwiegersohn in England? Liegt er noch immer mit Koliken danieder und hat Probleme, seine Miete aufzutreiben? Musste sich ein dreckiges Loch nehmen, weil der Stalhof überfüllt ist. Platzt ja aus allen Nähten Euer Kontor da drüben. London. Beschissenes Wetter, genau wie hier.«
    »Er hat viel Wolle eingekauft. Das Geschäft läuft glänzend. Wir werden alles über Brügge …«
    »… bis Schwartau bringen«, beendete d’ Alighieri und lachte.
    Rungholt fühlte nach der Gnippe, war bereit, das Klappmesser zu zücken. Du blutloser Wittenfresser machst dich über mich lustig? Sollst sehen, wie schön ich dich zur Ader lasse. Staunen wird Wiesberg. Der Zorn peitschte Rungholt die Röte ins Gesicht. Das Schlimmste waren nicht d’ Alighieris Worte, sondern dass er Recht hatte. Dieser Aasfresser sprach lediglich aus, was Rungholt seit Pfingsten wusste.
    »Verkackte Lage, Rungholt. Das ganze schöne Geld … Einfach hinfort. Ihr habt keine Einnahmen. Die letzten Monate nicht. Ich weiß es. Und Eure Brauerei frisst Euch die Haare vom Kopf.« Er strich sich sehr behutsam mit den Gichtfingern über seine Glatze und rief mit einem Mal: »Wiesberg! Hirschtalg her. Das Kribbeln lässt nach.«
    Sofort eilte Wiesberg zu ihm. Fassungslos und innerlich bebend musste Rungholt zusehen, wie Wiesberg d’ Alighieri die Houppelande über den Kopf schlug. Der Florenzer war darunter tatsächlich splitternackt. Er hatte bloß seine übertriebenen Schnabelschuhe an. Sein Schwanz baumelte wie eine vertrocknete Birne hin und her. Sein ausgemergelter, blasser Körper war an Beinen, Armen, selbst am Bauch von Schnitten gezeichnet. Wie oft mochte Wiesberg seinen besten Patienten zur Ader gelassen haben? Hundert Mal, Tausend Mal?
    Rungholt wurde übel. Alle Wut versiegte angesichts dieses entstellten Leibs. Er wollte nur ins Bett und spürte, dass die Müdigkeit zurückkehrte und wie eine Welle über ihm zusammenschlug. Für einen Augenblick trübte sich sein

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