Flutgrab
Wiesberg beiseite, der mit einer Daube voller Scharpieverbände und einer Schere zu ihm geeilt war und ihm allen Ernstes die Gugel abstreifen wollte. »Quacksalber. Gut, dass Ihr Verbände mitgebracht habt. Da fällt Euer Kopf nicht so hart in die Schüssel, wenn Ihr mich anfasst.«
Verwirrt blickte Wiesberg auf die Daube, bevor er begriff und unsicher ein paar Schritte zurücktrat in Richtung d’ Alighieri. Der kratzte sich noch immer. Jetzt sah er aus wie ein Wirrkopf aus dem Heilig-Geist-Hospital, so manisch ließ er den Stab über seine nackten Beine fahren, ganz entrückt. Er war erst zufrieden, als etwas Blut seine Schenkel hinunterlief. »Hirschtalg. Wiesberg hat mich, Scheiße noch eins, wunderbar geschnitten.« Er wollte weiterkratzen, aber der Kratzer zerbrach. D’ Alighieri warf ihn nach Wiesberg. Der Leibarzt schien solche Attacken gewohnt zu sein, er duckte sich nicht einmal.
»Dieser Hirschtalg, den er mir in die Schnitte gerieben hat. Die Pest, Rungholt. Die Pest. Das fühlt sich an wie tausend kackende Ameisen.«
»Der Hirschtalg ist gut für Eure Haut, d’ Alighieri. Ihr wisst, wenn Ihr zu viel purgiert, könnt Ihr zu Rinde vertrocknen. Es dauert nur zwei Gebete lang, und Ihr könntet schrumpeln wie die Haut einer Eiche.«
»Ach, porco dio«, lustlos wischte d’ Alighieri mit der Hand durch die Luft. »Und wenn schon. Das Gewitter ist gut zum Aderlass, also schneidet mich ein zweites Mal.« Er wandte sich an Rungholt. »Wird mir meine schwarze Galle rausdrücken, der Wiesberg. Bin immer so melancholisch. Aber im Ernst, was soll man in diesem kalten, dreckigen Scheißdorf auch anderes sein als melancholisch!«
Langsam spürte Rungholt die Nässe. Sie drang durch den Loden und ließ ihn unangenehm frieren. Die letzten Stunden taten ihr Übriges. Seitdem der Bürgermeister ihn aus der Scrivekamere geholt hatte, war Rungholt nicht einen Augenblick zur Ruhe gekommen. Und nun war er es leid, sich Geschichten über Lübeck oder die Viersäftelehre anzuhören. »Was wollt Ihr von mir?«
»Ich hörte, Euer Konvoi wurde aufgerieben.«
Ein Satz wie der Schlag einer Streitaxt.
»Was?«
»Bei Schwartau.«
Konnte das sein? Rungholt spürte, wie sein Herz einen Moment aussetzte. Er hatte die Flammen gesehen. War das etwa kein Blitzschlag gewesen, sondern seine Wagen aus Brügge, die so kurz vor dem Ziel angegriffen worden waren?
Marek, schoss es ihm durch den Kopf. Wenn er in einen Hinterhalt geraten war und … Hoffentlich lebte er noch.
»Wer … Wer … Von wem wisst Ihr …?«, stammelte er und musste sich zwingen, nicht weiterzusprechen oder auch nur betroffen dreinzublicken. Zeig Härte, mahnte er sich und wischte d’ Alighieris Worte beiseite. »Meine Waren sind längst in der Stadt.«
Mit einem kalten Lächeln verschränkte d’ Alighieri die Finger. Unter seinen langen Nägeln klebte Tinte. Oder war es getrocknetes Blut? Rungholt war sich nicht sicher.
»Ich habe meine Späher, Rungholt. Ich weiß, dass Eure Brauerei beklagenswert läuft. Um nicht zu sagen, verschissen beschissen. Und ich weiß, dass Ihr einen Konvoi nach Brügge geschickt habt. Vor …«, er tat, als versuchte er, sich zu erinnern, »sechs Monaten? Fünf Monaten? … Tuch habt Ihr gekauft? Eisen? … Gewürze. Sicherlich Gewürze. Nun. Ich denke, damit hättet Ihr mein großzügiges Darlehen zurückzahlen können.«
Ich muss hier raus.
Rungholt sah sich bereits im Eilschritt zu Dartzow laufen, um ein paar Riddere nach Schwartau zu schicken. Dieser stinkende Florenzer widert mich an. Ich muss sehen, ob es wahr ist. Ich muss nachsehen, was mit meinem Konvoi passiert ist. Ich muss sehen, ob Marek noch lebt.
»Seid nicht so ungeduldig«, zischte d’ Alighieri, dem offenbar keine Regung Rungholts entging. »Von Eurem Konvoi ist nichts mehr übrig. Da ist nichts zu retten. Er ist vollkommen ausgebrannt.«
»Wenn es denn stimmt. Ich zahle Euch das Darlehen für die Brauerei zurück. Zu Allerseelen habe ich sicher alles beisammen, um …«
»Das glaube ich kaum.«
Rungholt spürte, wie der Zorn in ihm hochstieg. Er ließ sich nur ungern einfach das Wort abschneiden, und wenn es nicht d’ Alighieri gewesen wäre, hätte er bereits seine Gnippe gezückt.
»Das bisschen, was Ihr an Handel noch treibt … Diese verdammte Seeblockade – wahrlich ein Disastro – verschlingt die Brauerei. Da kann ich ewig warten. Nicht nur bis November.«
»Was wollt Ihr, d’ Alighieri?«
»Scheiße auch! Immer geradeheraus. Ohne Umwege.
Weitere Kostenlose Bücher