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Flutgrab

Flutgrab

Titel: Flutgrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meister Derek
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beeilen«, drang de Kraihs Stimme durch die geschlossene Tür. »Mein Auftraggeber wartet nicht gerne.«
    »Wer sagt mir, dass es keine Falle ist?«, rief Rungholt und hörte als Antwort erst einmal lautes Schmatzen. De Kraih ließ sich von Hilde ordentlich auftischen. Das in Bier aufgebrockte Brot vom Abendessen schmeckte dem Fremden. Obwohl ein einfaches Gericht, hatte Hilde es mit Butter, Koriander und Petersilie aus ihrem neuen Garten liebevoll verfeinert. Wahrscheinlich, dachte Rungholt, hat dieser hagere Kerl seit Wochen nichts Ordentliches zu beißen bekommen.
    »Ich«, kam endlich die Antwort. »Ich sage Euch, es ist keine Falle.«
    »Ach, und Euch kann ich trauen?« Ein Blitz zerriss die Nacht und ließ die Feinwaage mit ihren Gewichtchen, Rungholts Tintenfässchen und die durch die Jahre speckig gewordene Nussbaumverkleidung der Wände aufleuchten.
    »Findet es doch heraus … Vorzüglich, Euer Essen, übrigens.«
    Rungholt fing Alheyds Blick ein. Sie wollte nicht, dass er mit dem Fremden ging – verletzt und mitten in der Nacht. Jedoch wusste Alheyd nicht, dass ihre Brauerei seit Ende August letzten Jahres durchgehend rote Zahlen schrieb. Das Doppelhaus an der Ecke Hundegasse und Lohberg war ein tiefer Brunnen, in den Rungholt Tag um Tag mit vollen Händen seine Witten schmiss. Dass de Kraih von dieser Misere wusste, konnte nur bedeuten, der Braumeister hatte geplappert. Rungholt selbst vertuschte die finanzielle Lage der Brauerei beharrlich. Er hielt sich tapfer an dem Strohhalm fest, die Brauerei werde wieder sprudeln, sobald erst die Hungersnot vorbei war.
    Er wollte aufstehen, aber Alheyd drückte ihn noch einmal herunter, um den Leinenverband festzuziehen. »Du musst zum Medicus. Oder geh zu Sinje. Tu mir den Gefallen, ja? … Ich hab nicht mal Scharpie im Haus.«
    Rungholt küsste ihre Hand und strich eine Strähne unter ihre hübsch bestickte Haube. Der Goldton ihres Haares erinnerte ihn stets an Honig. »Du machst das ausgezeichnet, Alheyd. Tut mir leid, dass ich … da rauf bin.« Er nickte zur Decke.
    »Du mit deinem Sturschädel, Rungholt. Du bringst dich noch um.«
    »Ach was. Ich dachte, ich mach ein zweites Loch ins Dach. Damit ’s Wasser ablaufen kann.«
    Spielerisch schlug sie mit dem Leinenrest nach ihm.
    »He.« Er musste lachen, versuchte sich aufzurichten, aber der Schmerz zog sich bis in seinen linken Arm. »Ich pass schon auf mich auf.«
    Sie küsste seine Stirn, musste aber sauer den Kopf schütteln, als sie sah, wie Rungholt seine Gnippe aus seinem Gürtel zog und die Klinge des kleinen Klappmessers prüfte.

4
    Mittlerweile waren Rungholt seine feinen, aus Lammleder gefertigten Cracowers egal, trotz der hohen Trippen waren sie längst durchgeweicht und wahrscheinlich ein Fall für die Sickergrube. Seine dicke Gugel aus Loden hielt den Regen ab, aber bereits auf Höhe des Schrangen spürte er klamme Kälte im Rücken und seinem Leinenverband, weil die Nässe an ihm hinaufkroch.
    Die Buden der Fleischhauer waren zugenagelt, teilweise sogar abgebaut. Wo sonst in morgendlichem Eifer Schweinefleisch, Ochsenhälften und Schafe herangekarrt wurden, um feiner zerteilt und verkauft zu werden, herrschte Leere. Der Schrangen war verwaist.
    Missmutig stapfte er durch die Pfützen. Ein gleichmäßiges, stumpfes Klappern erfüllte die stickige Luft, und Rungholt sah sich zur Fronerei um. Ein paar Gefangene hatten ihre Arme aus den schmalen Fenstern gestreckt und ließen ihre leeren Dauben gegen die Metallstangen schlagen. Wahrscheinlich vom Hunger erschöpft und zu nichts anderem mehr in der Lage. Das Gefängnis Lübecks war seit Mitte Juni überfüllt, nachdem der Rat eine Bande ehrloser Töpfer und Seifensieder festgesetzt hatte. Siebzehn Mann, die Hennikens Wagen voller Stockfisch hatten ausrauben wollen. Eine Verzweiflungstat, bloß einen Steinwurf von St. Marien entfernt. Nun hockten sie auf Reisig in den Gefängniskammern, die alle nach Handelsstädten benannt waren. Sie saßen in Paris und Brabant und krepierten da am Hunger, anstatt bei … und mit ihren Familien.
    Je näher sie ihrem Ziel kamen, desto unbehaglicher wurde ihm. Er ahnte inzwischen, von wem de Kraih gesandt worden war.
    Als sie in die geschwungene Gasse abbogen, Stroh und Unrat trieben an ihnen vorbei, war Rungholt sich gewiss. Sein Bauchgrimmen ließ ihn schlucken, und er hielt noch einmal an, mit dem diffusen Gefühl, vor einer Prüfung zu stehen. Einen Moment blickte er in die Nacht und kam sich vor, als wäre er

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