Flutgrab
dutzende Kerzen. Sie flackerten in kunstvoll gearbeiteten, beinahe durchsichtigen Gläsern von einer Reinheit, die Rungholt lediglich von Brillen kannte. Das Lichtermeer war um einen Waschzuber aus derbem Holz aufgestellt, ein viel zu grober und schlichter Kübel für das feine Kerzenlicht. Der Duft der Honigkerzen und des Badewassers wehte Rungholt entgegen. Im Zuber stand d’Alighieri. Der spillerige Mann hatte ihm den Rücken zugewandt.
Rungholt ließ Gryps auf die prunkvolle Houppelande des Wittenfressers fallen und trat ans Bad. D’ Alighieri schüttelte seine kraklige Gestalt und urinierte, ein Schuldnerbuch über die Schulter gelegt, in ein Glas. Zwar hob der Florenzer den Kopf, drehte sich aber nicht um und ließ sich auch sonst nicht von seinem Geschäft abhalten. Nachdem er den letzten Tropfen abgeschüttelt hatte, rief er nach Wiesberg. Der Arzt kam aus einer dunklen Ecke herbeigeeilt.
»Wiesberg ist der König unter den Urinlesern, Rungholt. Der König.«
»Schön für Euren Urin.«
»Scheiße, Scheiße auch! Was habt Ihr für eine Laune!« D’ Alighieri fuhr herum, verschüttete etwas aus seinem Glas und dachte gar nicht daran, es sofort Wiesberg zu geben, der danach fingerte. »Zerrt einen Toten durch mein Haus? Pfuii. Pfuiii. Pfuiii. Alles Barbaren hier im Norden. Barbaren.«
»Wenn ich kurz … Das Glas, Herr.«
»Nehmt nicht einen gar so großen Schluck.« Der Florenzer lachte und drückte es Wiesberg vor die Brust. Er nahm das Buch von der Schulter, warf einen kurzen Blick hinein und ließ es auf den Boden fallen. »Gryps, nehme ich an.«
Rungholt riss dem Hünen die Gugel vom Kopf. »Der Schmied. Der Mann, der Eure Zwillinge entführte. Ja.«
»Scheiße auch, Rungholt. Das ist … wunderbar.« D’ Alighieri ließ sich von Wiesberg ins Wasser helfen. Seine Gichtfinger strichen steif Öl über seine knochige Brust. Selbst die Kerzen vermochten nicht, dem Florenzer eine gesunde Hautfarbe zu geben. »Wollt Ihr auch rein? Das Wasser ist frisch. Erst von gestern Abend. Der Auerhahn. Scheiße, wenn ich so völlere, muss ich baden.«
»Ich bleibe lieber stehen.« Abfällig musterte Rungholt den Wittenfresser und sein Gefolge.
D’ Alighieri zog eine Augenbraue hoch und streckte die Füße über den Wannenrand. Rungholt bemerkte, dass sie mit Verbänden umwickelt waren. Nass und rot von Blut hing das Scharpie herab.
»Schrecklich, wenn die Haut an den Füßen so aufweicht, hm. Liegt alles am Wetter. Lübeck, Himmel. Was haben wir denn heute? … De Kraih?«
»Sonntag«, antwortete de Kraih zackig. Rungholt entging nicht, dass sich der Mann hinter ihm aufbaute. Die Krähe kratzte ihre Y-Narbe und starrte Rungholt an, als der sich kurz zu ihm umdrehte. Als er sich wieder d’ Alighieri zuwandte, konnte er die Blicke des Schreibers in seinem Nacken spüren.
»Montag?« Vor Zittern gelang es d’ Alighieri nicht, seinen Ölflakon auf den Wannenrand zu stellen. Er fiel herunter, zersprang aber nicht auf dem Boden. »Noch mal Glück gehabt. Was? Hm. Die Zeit stimmt. Bis feria tertia hatten wir gesagt. Dienstag.« Der Florenzer drehte sich ein wenig und schielte über den Rand auf die Leiche. »Doch sein … Zustand, Rungholt. Habt Ihr ihn so zugerichtet?«
»Nein.«
»So wird er uns aber nicht sagen können, wo die Zwillinge sind.«
»Na und. Für unser Geschäft ist das gleich. Ihr wolltet Euren …, lasst mich überlegen …, Dieb, und den habt Ihr nun.«
»In der Tat. Aber unter uns … Entschuldigt, wenn ich das so sage: Es ist, Scheiße noch eins, nicht egal! Er hätte uns schon sagen müssen, wo die Kinder stecken. Merda! Korrigiert mich, aber wir haben doch gesagt: Lebend .«
»Lebend. Nicht lebend … Er ist in meinem Haus erschossen worden. Ein Armbruster.« Zorn loderte in Rungholt auf und begann sein Herz zu kneten. »Der Mörder muss Gryps gefolgt sein.«
»Sicher. Er ist Gryps gefolgt. Warum war er denn bei Euch? Unser Schmied?«
Rungholt verspürte weder den Drang, d’ Alighieri etwas zu erklären, noch länger als nötig zu bleiben. »Das finde ich heraus.«
Der Florenzer rief nach Wiesberg, der das Uringlas in einen Kolben geleert hatte und still in einer Ecke akribisch die Harnschau durchführte, den Urin von allen Seiten besah, an ihm roch und auch schmeckte. Sofort unterbrach Wiesberg seine Arbeit, hob auf einen Fingerzeig den Ölflakon auf und gab ihn d’ Alighieri zurück.
»Dann habt Ihr ihn ja gar nicht gefunden.« Die knochigen Finger hinterließen nasse Spuren
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