Flutgrab
gepresst. »Der Topf ist unser Schädel. Und das hier …« Sie hob eine kleine Zwiebel hoch. »Das ist unsere Goldkugel.«
Nachdem sie Rungholt die Zwiebel zugeworfen hatte, forderte sie ihn auf, sie in den Nachttopf zu legen. Sie kullerte ein wenig und rollte aus.
»Siehst du die Delle hier?« Sie zeigte Rungholt eine Stelle recht weit oben im Topf. »Was muss ich machen, damit die Zwiebel da reinrollt?«
Rungholt musterte sie fragend. War das ihre Lösung? Grumpfend packte er den Pott, drehte ihn etwas und drückte ihn mit der Delle nach unten ins Stroh. Sofort sprang die Zwiebel los und blieb in der Mulde liegen.
»Den Topf drehen, genau«, warf Marek ein. »Aber der Schädel hat zwölf Dellen. Und das Dumme ist doch …«
»… dass wir nicht wissen, mit welcher Delle nach unten er ins Stroh gedrückt werden muss«, fuhr Rungholt statt Marek fort. »Sinje, das ist brillant.«
»Was denn?« Marek warf seinem Weib einen fragenden Blick zu, aber Sinje stand auf und ging zu einer Truhe aus Birkenholz. »Was denn?«, wandte sich Marek an Rungholt.
»Wir brauchen einen Fuß«, sagte Rungholt. »Der Schlüssel ist der Fuß. Wenn wir wissen, wie wir den Schädel hinstellen, fällt die Kugel in die richtige Mulde …«
»Einen Fuß?« Ungläubig schüttelte Marek seinen Nachttopf und bewegte die Zwiebel. »Ist ja widerlich!«
»Nicht so einen. Einen Sockel.«
Sinje kam zurück und schob die beiden Männer beiseite. »Wenn man weiß, wonach man suchen muss, ist es einfach«, sagte sie und rollte Rungholts Wachsabdruck auf ihrem Kräuterbrettchen aus.
Die Abdrücke der Runen waren gut zu erkennen, trotz einiger Schrunden und Verunreinigungen. Die beiden Männer sahen zu, wie Sinje ein verkohltes Stück Holz aus der Feuerstelle nahm und es mit ihren schlanken Fingern über dem Wachs zerrieb. Behutsam schüttete sie den Staub, der sich sogleich in den Rillen absetzte und bis in jede kleine Pore drang. Sie pustete ihn von links nach rechts und schließlich den Rest auf den Boden.
Rungholt hielt die Lampe, so nah es ging, daran und beugte sich hinunter, bis es aussah, als wollte er das Wachs essen.
»Siehst du es?« Sinje tauchte zu ihm ab und blickte mit ihm auf das Ergebnis.
»Das ist unglaublich«, raunte Rungholt. »Ich … Die sind völlig zwischen den Runen untergegangen.« Am liebsten hätte er das Wachs berührt. Im blakenden Licht zeichneten sich drei Dutzend Ringe zwischen den Spiralen der Runen ab. Sie bildeten sich durch winzige Dreiecke, Sterne, Kreuze, Vierecke.
»Es ist ein Ring«, meinte Sinje. »Du sagtest, es fehlt ein Schlüssel.«
»Ein Ring«, raunte Rungholt. »Wir suchen einen Ring, auf den der Kopf passt.«
»Und der Ring muss diese Zeichen haben?«, fragte Marek.
Rungholt nickte. »Ich nehm’s an. In der Reihenfolge eines der Kreise. Das ist der Schlüssel. Wir suchen den Ring, schieben ihn unter die richtige Stelle vom Kopf und sehen zu, wohin die Goldkugel rollt.«
Sinje nickte. »Genau das denke ich auch.«
»Dann lasst uns den Hort des Roten holen«, warf Marek ein. »Wir holen die Kinder und werden reich!«
Sinje fuhr ihm durchs krause Haar. »Wenn es den Hort tatsächlich gibt, Schatz.«
»Sicher gibt’s den! Lasst uns den Ring suchen!« Marek hätte sich am liebsten die Hände gerieben, aber er hielt die Lampe.
Rungholt grinste ihn an. »Hast du einen Spaten?«
45
Diesmal hatten sie jemanden, der Schmiere stand. Hinter der Friedhofsmauer verborgen, spähte Sinje die Via Regia hinab und den Koberg hinauf. Anstatt sich im Hof zu wälzen, hatten Rungholt und Marek ein paar alte Decken von ihr mit Schmutz besudelt und sich darin eingehüllt.
So hätten wir es schon beim ersten Mal machen sollen, dachte Rungholt und blickte durch den Regen zu Sinje. Er gab mit seinem Licht ein kurzes Zeichen. Hier war alles in Ordnung. Dann sah er Marek zu, wie dieser angewidert mit Agnes’ Körper kämpfte. Der schwarze Modder wollte die Leiche nicht mehr hergeben.
»Wir hätten erst mal die eine Leiche bestatten sollen«, maulte er, »anstatt eine zweite auszubuddeln, Rungholt. Das sag ich dir aber.«
»Die Brauerei ist verrammelt. Da kommt keiner rein«, beruhigte Rungholt seinen Freund. »D’ Alighieri wird sie versiegeln und gut. Der hat erst einmal damit zu tun, mein Leben wegzusperren.«
»Du meinst, wir haben noch Zeit bis morgen früh?«
Rungholt winkte ab. »Bestimmt.«
»Dein Wort in Gottes Ohr.«
Der Friedhof war inzwischen ein See. Die sich im fahlen Mondlicht
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