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Flutgrab

Flutgrab

Titel: Flutgrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meister Derek
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Bürgermeister die Augen und stand auf. »Mein Gott«, stöhnte er. Er hatte gar nicht gewusst, wohin er zuerst blicken sollte. Texte, Abschriften, Aussagen, Zeichnungen, Skizzen.
    »Das ist er? Rungholt?« Dartzow tippte auf eine Strichfigur mit Bauch und blutendem Dolch in der Hand.
    »Ja. Wenn Ihr es lest, erfahrt Ihr, dass er von Novgorod kam. Wer die Frau ist, das weiß niemand. Aber er … Er hat sie wahrscheinlich in seiner Gewalt gehabt. Ein gewisser Blankard, ein Komtur des Ordo Teutonicus, hat Rungholt über den Peipussee bis in die Wälder nahe der Daugava verfolgt.«
    »Das sind Männer des Deutschen Ordens?«
    Kerkring tat so, als müsse er überlegen, und zog sich das Buch ein Stück heran. »Ja. Alle. Um Rungholt herum. Im Schnee. Alles Soldaten, Knechte und hochgeehrte Ritter des Ordo Teutonicus.«
    Wie unter dem Einfluss von Stechapfel oder Quendelkraut blätterte Dartzow vor. Zwei, drei Seiten, und wieder zurück. Er war nicht fassungslos, die Fassung verlor er nie, aber die Sprache hatte es ihm sehr wohl verschlagen.
    »Ich sehe schon«, meinte Kerkring wieselig. »Ihr wollt es in Ruhe studieren … Ich hatte vor, mir noch ein Walfischspießchen zu kaufen, eine der Litten auf dem Schrangen hat wieder aufgemacht. Vorzüglich. Soll ich Euch etwas mitbringen?«
    Statt einer Antwort nickte der Bürgermeister abwesend, sah nicht einmal auf.
    So entging ihm Kerkrings feines Lächeln.

46
    Obwohl er Sinje keine zehn Klafter entfernt mit einem von d’Alighieris Bütteln reden hörte, musste Rungholt tief durchatmen, bevor er die Tür zu seinem Haus aufstieß.
    Die Leere der Diele war erdrückend. Sie gemahnte ihn augenblicklich daran, wie winzig er war, wie vergänglich das Glück. Sie waren alle bloß Spielball des Schicksals. Eine Schneeflocke auf den Wellen des Gottesmeeres, ein Leben lang hin- und hergerissen, bis sie schmolz, um eins mit den Wellen zu werden.
    Red’s dir nur schön, Rungholt, schalt er sich. Schieb’s aufs Schicksal und den Herrn. Sinje hat schon Recht. Du hast bei d’ Alighieris Angebot eingeschlagen. Du hast das Schicksal herausgefordert.
    »Wohin?« Marek zog leise die Haustür hinter sich zu und schlich zu Rungholt.
    »Scrivekamere«, meinte er und öffnete bereits die Tür zur Dornse. Er senkte den Blick, um das kahle Zimmer nicht anstarren zu müssen. Auch hier hatte d’ Alighieri ganze Arbeit geleistet. Ein leerer Gewürzsack, hingeworfen auf zusammengefegten Staub und Dreck, war das Einzige, das übrig geblieben war. Wo gestern noch sein Schreibtisch, Kisten und Truhen gestanden hatten, zeichneten sich helle Stellen auf dem Holzboden ab. Sonst zeugte nichts mehr davon, dass dies das Herz von seinem Reich gewesen war.
    Mit einem gekonnten Handgriff öffnete er sein Geheimfach. Immerhin das hatten sie nicht gefunden. Schnell zog er den Schädel heraus, warf ihn Marek zu.
    »Und die Kugel?«
    »Noch auf dem Dachboden. Wenn sie sie nicht gefunden haben«, meinte Rungholt bitter. Trotz ihres Werts hatte er sie beim Bierfass in die Dachsparren gelegt. Nur den Schädel hatte er versteckt, weil Alheyd ihn auf keinen Fall sehen sollte.
    »Dann los.«
    Rungholt hielt Marek fest. »Warte. Ich muss noch in den Keller.«
    »Heiliger Vater. Du Herr im Himmel.« Dartzow taumelte durch das Wasser zurück und hielt sich am schroffen Backstein des Durchgangs fest. »Wer hat ihn gefunden? Woher wisst Ihr …«
    »Ein Büttel. So ein Krauskopf mit Keule. Arbeitet für d’ Alighieri.« Behutsam schob sich Kerkring näher an den klaffenden Leib heran. »Er sagte, d’ Alighieri bekomme noch Geld von Rungholt.«
    »D’ Alighieri?«
    Kerkring ging nicht auf die Frage ein, sondern streckte seinen Gehstock vor und hob mit der Spitze den Rest der Garnache an. Er konnte nicht hinsehen. Das war alles zu viel. Auch Dartzow wendete sich erschrocken ab, presste sein Tuch vor den Mund.
    »Rungholt hat ihn ausgeweidet. Himmel. Er hat den Jungen einfach auf seinen Schreibtisch gepackt und ihn …« Kerkring konnte nicht weitersprechen, denn er hatte den Heringsteller gesehen und erbrach sich.
    Der Anblick der Reste des Festschmauses, neben denen Fleisch und Eiter lagen, war einfach zu viel. Nach Luft ringend, über seinem Stock hängend, starrte er zu seinen Füßen ins Wasser. »Oh Gott, ich …«, keuchte er. »Ich … Gott … Ich glaube, er hat Stücke von ihm … gegessen .«
    Dartzows Blick versteinerte. Als Kerkring sich zu ihm drehte, konnte er spüren, wie der Bürgermeister mit sich rang. Es

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