Fly Me To The Moon - In seinem Bann 6
wäre zu spät. Der Wagen wollte nicht anspringen und dann die Sache mit dem Parkplatz. Ich stehe jetzt hier auf dem Museumsgelände, direkt beim Lieferanteneingang. Ich hoffe, das stört keinen.«
Während sie noch redete, drückte sie Conny an sich und zupfte dabei ganz beiläufig den Fransenschal zurecht, den er zu seinem grauen T-Shirt trug.
»Das mit dem Parkplatz geht in Ordnung«, meldete sich Ian mit seiner wundervoll samtigen Stimme zu Wort.
»Ach du liebe Güte! Jetzt habe ich ja glatt den Gastgeber übersehen. Ich bin Aglaia. Aglaia Lauenstein.«
»Ann-Sophies Mutter, wie man unschwer erkennen kann. Sie sehen einander sehr ähnlich«, erklärte Ian lächelnd und küsste meiner überraschten Mutter formvollendet die Hand.
»Meine Tochter hat recht, Sie sind noch attraktiver als auf den Pressefotos. Und dazu eine Geste von solch altmodischem Charme – Sie wissen jedenfalls, wie man Frauen schwach macht, Mr. Reed. Und mein Sohn schaut auch schon ganz verzückt«, platzte sie heraus.
Ihr Einstand hätte nicht typischer ausfallen können und trieb Conny und mir wieder einmal gleichermaßen die Schamesröte ins Gesicht. Darin war sie unerreicht. Doch Ian lachte nur sein perlendes Lachen.
»Das Ausstellungsplakat draußen finde ich übrigens super. Der gefesselte, strahlend weiße Skulpturentorso vor dem schwarzen Hintergrund, sehr gut gewählt. In der Skulptur steckt natürlich der Verweis auf die kunsthistorische Tradition, aber es wird auch deutlich, dass die Fesselung ganz klar auch ein Fetisch ist. Das ist sie immer. Und natürlich ist es ein nackter Frauentorso und natürlich geht das Seil durch den Schritt. Unterwerfung, Demütigung, Machtausübung, Zwang, Kontrolle, Fremdbestimmung, das steckt alles drin im Akt des Fesselns.«
»Ja, Mama. Das sind alles Aspekte, die in der Ausstellung und auch im Katalog zur Sprache kommen«, versuchte ich sie auszubremsen.
»Aber es ist schon bezeichnend, dass es kein männlicher Torso ist. Und wäre es einer, würde er wahrscheinlich vor dem Penis aufhören. Jedenfalls würde man den Penis nicht so explizit in Fesseln legen wie die weibliche Scham, oder?« Sie blickte auffordernd in die Runde.
Ich räusperte mich. »Du wirst sehen, dass es in der Ausstellung auch durchaus Beispiele für männliche Submission gibt. Prometheus, der gefesselte Burgunderkönig Gunther, der Heilige Sebastian.«
Meine Mutter nickte zustimmend. »Klar gibt es die, Schatz. In der Kunst wie im wahren Leben. Aber davon ist eben nie der Penis betroffen. Außer man hat es mit männlichen BDSM-Sklaven zu tun. Da gibt es dann auch die restriktive Penisfolter –.«
»Ich glaube, wir haben deinen Standpunkt verstanden.« Diesmal war es Conny, der ihren Redeschwall unterbrach, während Ian ziemlich amüsiert dreinschaute.
»Ich wollte ja nur sagen, dass das In-Fesseln-Legen der weiblichen Sexualität als ästhetisches, erotisches Motiv allgemein akzeptiert ist, während das Beschneiden männlicher Virilität tabuisiert wird.«
Dann begann zum Glück der offizielle Teil der Veranstaltung.
Wieder machte Ian den Anfang und wieder einmal bewunderte ich ihn für die unaufgeregte Souveränität, mit der er solche Auftritte absolvierte und eine Rede hielt, ohne dass es wie eine Rede klang. Er stellte Kiki und ihre Arbeit vor und sagte ein paar Worte über die neue Ausstellung.
»Aber ich möchte nicht zu viel vorwegnehmen, sondern das Wort nun lieber der Frau übergeben, die diese herausragende Schau konzipiert und verwirklicht hat. Bitte begrüßen Sie die Kuratorin von Bound , meine Lebensgefährtin Frau Dr. Ann-Sophie Lauenstein.«
Hatte er das wirklich gerade gesagt? Vor der Presse und mehr als hundert geladenen Gästen?
Meine Mutter drückte ganz fest meine Hand, ehe sie mir förmlich einen Schubs gab, wie sie es seit den Theateraufführungen in der Grundschule immer zu tun gepflegt hatte.
Bei meinen ersten Worten hörte man meiner Stimme noch an, wie aufgeregt ich war – sie war ein bisschen brüchig und zittrig – aber dann fand ich in den richtigen Tritt und letztlich war es auch nicht anders, als in den gleichen Räumlichkeiten vor einer Gruppe von Studenten zu sprechen. Ich erläuterte das Ausstellungskonzept, bedankte mich bei meinem Team, bei den Katalogautoren und natürlich bei den Leihgebern.
»Und ich bedanke mich bei Ian Reed, der die Idee zu dieser Themenausstellung hatte. Er hat dieses ehrgeizige Projekt nicht nur zu einhundert Prozent finanziert, sondern mich mit
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