Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Föhn mich nicht zu

Föhn mich nicht zu

Titel: Föhn mich nicht zu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Serin
Vom Netzwerk:
bewerten zu können, blieben meine Beurteilungen verborgen.
     Meine vier neuen Mail-Adressen hatte ich mir umsonst zugelegt. Als dann doch das Kriterium
sexy
im Zuge der deutschlandweiten Proteste von Kollegen durch die spick mich.de-Macher in
vorbildliches Aussehen
umgewandelt wurde, verlor die Plattform für mich jeglichen Reiz.
    Notgedrungen setzte ich meine ganze Hoffnung fortan auf Evaluationsbögen. Die hatte unsere Schulleitung mittlerweile für jeden
     Kollegen zur Pflicht gemacht, vielleicht auch, um die Unzufriedenheit der Schüler über den Unterricht besser zu kanalisieren,
     nach der Devise: «Wen man nach seiner Meinung fragt, der verschafft seinem Unmut nicht mehr im Internet Luft.» Um den Unterrichtenden
     böse Überraschungen zu ersparen, erhielten die Bögen allerdings nur Fragen zum Ankreuzen, zum Beispiel:
Hast du den Stoff gut verstanden oder hattest du Schwierigkeiten? War das Lerntempo für dich richtig oder falsch? Hat die
     Lehrerin/​der Lehrer gut erklärt oder nicht? Glaubst du, dass du viel gelernt hast?
    Wie André ermöglichte ich den Schülern aber, am Ende der Evaluation noch frei formulierte Anmerkungen, Tipps, Kritik oder Wünsche zu verfassen, im Glauben, sie dadurch zu ein paar aussagekräftigeren |190| Feedbacks zu bewegen. Doch gerade von diesen offenen Rückmeldungen wurde ich durchweg enttäuscht, denn sie gaben mir nie einen Hinweis auf den Grad meiner körperlichen Attraktivität. Stattdessen las ich vor allem Bemerkungen wie:
Sie machen zu viel Gruppenarbeit./​Das ist langweilig./​Sie sind zu streng./​Sie wiederholen zu oft./​Wenn Sie Vorträge machen
     lassen, dann sollte jede Gruppe ein anderes Thema vorstellen./​Dafür, dass Sie erst Referendar sind, war es okay./​Ich finde
     gut, dass Sie noch so jung sind. Bleiben Sie so./​Irgendwie sollten Sie den Unterricht spannender gestalten oder ganz anders.
     Aber eigentlich war der Unterricht okay./​Ich würde gerne mehr Zeit mit Ihnen verbringen. Karol.   /
Und:
Geschichte mit Ihnen ist voll anstrengend.
    Die Unergiebigkeit dieser Kommentare war umso frustrierender, als jemand in Andrés Leistungskurs – mit Sicherheit eine Schülerin
     – geschrieben hatte, er solle mit weniger Kleidung zum Unterricht erscheinen. Und in einer anderen Klasse wurden seine Arme
     gelobt, besonders seine Tattoos. Warum schrieb mir keine Schülerin, dass ich mit weniger Kleidung in der Schule erscheinen
     solle? Und warum lobte keine Schülerin meine Arme? War ich etwa unattraktiver als André? Weil ich im Gegensatz zu ihm eine
     Brille trug und nicht tätowiert war? Dafür hatte ich schönere Augen. Und abgesehen davon sahen wir einander nicht mal unähnlich.
     Klein, braune kurze Haare, kantiges Gesicht. Man hatte uns sogar schon für Brüder gehalten. Oder trauten sich die Schülerinnen
     mir gegenüber nicht, mit der Wahrheit herauszurücken?
    Leider konnte ich es mir als Referendar nicht leisten, weiter nachzuhaken. Aber sollte ich irgendwann als Lehrer unbefristet
     eingestellt werden, dann würde ich die Evaluationen zwar trotz meiner bisherigen Enttäuschungen nicht abschaffen, aber um
     zielführendere Ankreuzfragen ergänzen, zum Beispiel um Punkte wie
Findest du den Lehrer sexy?
oder
Sollte der Lehrer zum Unterricht mit weniger Kleidung erscheinen?
    |191| Raum 103, Mittwoch, 10.55   Uhr, 4.   Stunde, Französisch 10a
    Mahmoud: Und? Was ham Se? Ne Eins?
    Ich: Hat mir Frau Lau nicht gesagt. Aber sie war sehr zufrieden mit der Stunde.
    Mahmoud: Heißt dit, wir ham Ihren Arsch gerettet?
    Ich: So würde ich es nicht ausdrücken. Ihr habt zwar sehr gut mitgearbeitet, aber ein bisschen habe ich als Lehrer zum Gelingen
     der Stunde sicherlich auch beigetragen.

|192| 31
«Du bist nicht mein Typ!»
    Nach der letzten Französischstunde kam Serpil zu mir an den Lehrertisch, um mit mir über ihre Note zu sprechen. Unser Gespräch
     hat sie dann sehr verletzt. Noch einige Wochen zuvor hätte ich es anders geführt. Ganz unbefangen hätte ich mich darauf eingelassen.
     Ich hätte ihr in Abwesenheit aller anderen Schüler meine Entscheidung für die Fünf kriterienorientiert und in aller Ausführlichkeit
     dargelegt und ihr, wenn sie wegen der drohenden Nichtversetzung in Tränen ausgebrochen wäre, Trost zugesprochen. Vermutlich
     hätte ich sie sogar in den Arm genommen. Doch ich war nicht mehr derselbe Mensch. Gerade hatte ich mit meiner Seminargruppe
     an einer Veranstaltung der «Arbeitsgemeinschaft gegen sexuellen

Weitere Kostenlose Bücher