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Föhn mich nicht zu

Föhn mich nicht zu

Titel: Föhn mich nicht zu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Serin
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der Affäre zu ziehen. Und nun saß, weil genau dreiundzwanzig Referendare anwesend waren
     und für mich sonst niemand übrig blieb, auch noch Herr Schubert neben mir. Das hatte ich nun davon, oft genug auf Einzelgänger
     gemacht zu haben. Den Blicken der anderen Kursteilnehmer entnahm ich, dass sie froh waren, nicht an meiner Stelle zu sein.
    Unser Hauptseminarleiter, also Ausbilder und Vorgesetzter in Personalunion, hatte mir in den achtzehn Monaten seit Ausbildungsbeginn
     keine zwei positiven Eigenschaften offenbart. Er ließ sich selbst dann nicht, wenn man sich nur auf sein Äußeres beschränkte,
     als irgendwie angenehm oder sympathisch verkaufen. Seine grauen, perfekt gestriegelten, immer noch vollen Haare, seine braunen
     Ein-Meter-neunzig-Anzüge und seine goldgerahmte Brille ließen gar nicht erst den Verdacht aufkommen, ein entspanntes Verhältnis
     zu ihm sei möglich. Die Förmlichkeit |199| eines Musterbeamten stand ihm praktisch in sein blutarmes Gesicht geschrieben. Betrat Herr Schubert Punkt 15   Uhr am Montag steif wie ein Feldwebel den Seminarraum, um zunächst seinen ernst-prüfenden Blick langsam durch die Reihen wandern
     zu lassen und anschließend seinen schwarz-goldenen Kugelschreiber aus der Jackettasche herauszuholen und mit diesem in aller
     Ruhe zu notieren, wer fehlte, dann brachen für die Referendare meiner Gruppe die unangenehmsten zweieinhalb Stunden der Woche
     an. Es dürfte wohl keinen Mitarbeiter in der gesamten Berliner Verwaltung geben, der seine Arbeit so entmenschlicht-emotionslos
     und beamtenhaft-förmlich verrichtete wie Herr Schubert. Im Vergleich zu ihm entfaltete Egon Krenz das Charisma eines Robbie
     Williams.
    Sicher, auch Herr Schubert hatte soziale Anwandlungen, dann war es, als überkomme ihn ein schlechtes Gewissen, weil er so
     gar keine Wärme ausstrahle. In solchen Momenten versuchte er die Stimmung im Kurs aufzulockern, indem er seine Ausführungen
     mit vermeintlichen Scherzen und Pointen aus seiner Zeit als Lehrer versah, die jedoch in der Regel nicht unterhaltsamer waren
     als die Paragrafen des Berliner Schulgesetzes. Dass Humor von ihm in Wirklichkeit nicht goutiert wurde, hatte ich wiederholt
     bei meinen Bemühungen zu spüren bekommen, die bleierne Seminaratmosphäre durch witzige Bemerkungen zu entspannen. Diese hatten
     mir zwar oft Lacher der versammelten Referendare eingebracht, waren an Herrn Schuberts versteinerter Mine aber einfach nur
     abgeprallt. Die Einwürfe wurden mir von ihm mit Sicherheit als fehlende Ernsthaftigkeit ausgelegt, in seinen Worten: als Kompetenzdefizit.
     Und leider besaß ich in seinen Augen ausgesprochen viele Kompetenzdefizite. Für die bald anstehende Prüfung war das ein schlechtes
     Omen, denn Kompetenzen waren Herrn Schuberts zehn Gebote.
    Für ihn waren sie so zentral, vermutlich konnte er selbst in |200| seinem privaten Umfeld nicht auf sie verzichten. Wahrscheinlich erhielt auch seine Tochter eine jährliche Beurteilung:
Elke versteht sich ganzheitlich als Tochter, die wächst, lernt , gehorcht , im Haushalt ihre Pflichten erledigt und ihre Freizeit sinnvoll zu nutzen weiß. Diese Kompetenz ist vorhanden.
Und wahrscheinlich drückte er sich gegenüber seiner Frau nicht grundsätzlich anders aus. «Manfred, liebst du mich noch?» Auf
     diese Frage von Frau Schubert würde er mit Sicherheit antworten: «Du bist in der Lage, in mir Gefühle der Zuneigung, des Vertrauens,
     der Verbundenheit, der Verantwortung, der sexuellen Begierde hervorzurufen. Diese Kompetenz ist im Ansatz vorhanden. Deine
     Leistungen entsprechen den Anforderungen, weisen aber dennoch einige Mängel auf. Bitte melde dich bei mir zu einem Beratungsgespräch!»
    Lange hatte ich nach einer emotionalen Schwäche in Herrn Schuberts Bewertungssystem gesucht, in der Hoffnung, mir diese eventuell
     zunutze machen zu können. Gab es irgendeinen Typ Referendar, den er bevorzugte? Irgendwelche Charakterzüge, die er favorisierte?
     Ich notierte mir für jeden Seminarteilnehmer, ob er positive oder negative Rückmeldungen erhielt. Ausgehend davon wollte ich
     günstige von ungünstigen Merkmalen isolieren: Marlene erhielt viel Lob, Tim viel Kritik. Hanna erhielt viel Lob, Lukas viel
     Kritik. Nina erhielt viel Lob, Christian viel Kritik. Regine erhielt viel Lob, André viel Kritik. Christina erhielt viel Lob,
     Lutz erhielt viel Kritik. Doreen erhielt viel Lob, Peter viel Kritik. Ich konnte einfach kein Prinzip dahinter erkennen, bis
     Peter irgendwann

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