Föhnfieber: Kriminalroman (German Edition)
Das ist wie bei den Eskimos, die sehen, was ich nicht sehe, riechen,
was ich nicht rieche, sie erkennen eben eine Marke, die mir fremd ist. Tizians PC
enthält die einzig mögliche Marke, die uns zum Attentäter führen kann. Der Spur
eines Hackers folgt nur ein anderer Hacker, kein Spezialist. Ich kenne nur einen
Hacker und das ist Josy. Gestern habe ich mit eigenen Augen gesehen, was sie kann.
Sie hat das als Grundschulaufgabe bezeichnet.« Lucius schien selber überrascht zu
sein über den Gedankengang, den er eben entwickelt hatte, überrascht und sogleich
überzeugt. Ohne Pamelas Reaktion abzuwarten drängte er: »Ruf Josy an, nimm Josy
mit. Josy ist eine exzellente Hackerin. Wenn jemand so kurzfristig die Spur finden
kann, ist sie es. Du weißt, sie ist ein Indigokind.«
Pamela kniff
die Augen etwas zusammen, als ginge es darum, genau zu sehen, biss seitlich auf
die Unterlippe. Natürlich wusste sie, Indigokinder war eine der Bezeichnungen für
diese übersensiblen Kinder, die seit vielleicht 30 Jahren überall auf der Welt geboren
wurden, die von Geburt an über paranormale Fähigkeiten verfügten. Das erklärte allerdings
Josys Begabung als Hackerin. Ach Gott, sie wusste, Tizian hatte keine Ahnung, dass
es so etwas gab. Josy wäre im Moment noch verzweifelt, weil sie Francis verloren
hatte. Schon griff sie nach dem Handy, tippte »Josy«. Josy war erreichbar. Pamela
erklärte einfach, sie brauche sie, jetzt, heute, bis in die Nacht vielleicht. Es
sei keine Bitte. Und dann befahl sie ihr ohne Umschweife, sich aufs Rad zu setzen
und zur großen Ausstellungshalle beim Wankdorf zu fahren. Sie selber komme mit dem
Auto, sei auch gleich da.
Bevor sie
den Anruf beendete, nahm ihr Lucius das Handy aus der Hand. »Hallo, Josy. Pamela
hat offensichtlich keine Zeit, sich richtig darum zu kümmern. Francis ist verschwunden,
ich rufe jetzt alle seine Bekannten an. Weil ich dich gerade erreichen kann, bist
du die Erste.« Die Reihenfolge stimmte zwar jetzt nicht, doch Josy wusste ja, es
ging um die große Ablenkungsaktion. Den Pausen nach war zu schließen, dass sie ohne
den Hauch eines Zögerns mitspielte. Lucius mochte das Gespräch als Testlauf ansehen,
fast hätte ihm Pamela geglaubt, dass er für Francis das Schlimmste befürchtete.
Was für ein Schauspieler!
Auf dem Parkplatz vor der Ausstellungshalle
wartete Pamela fünf Minuten, endlich entdeckte sie vorne an der Kreuzung bei der
Ampel eine Radfahrerin, Helm, kurze Tunika und Leggins. Diese schwenkte jetzt mit
Tempo über die Fahrbahn, kurvte über den Platz vor der Halle, es war Josy.
Josy kettete
ihr Rad an den Fahrradständer, befestigte den Helm an ihrem Rucksack, zog ein dunkelblaues
Haarband so über den Kopf, dass es die Haare straff nach hinten zog. Sie kam zu
Pamela, ihr Lächeln geriet schief, sie hatte jetzt die Tränen zuvorderst. Pamela
wollte aufmuntern: »Hey, Kleine, schau nicht so trostlos. Das Wichtigste ist doch,
dass alles gut gegangen ist.« Kaum hatte sie es gesagt, bereute Pamela den unangebracht
forschen Ton. Sie legte die Hand auf Josys Schulter, freundschaftlich: »Ich bin
froh, dass du gleich kommen konntest. Es war Lucius’ Idee. Komm, wir müssen hinüber
ins Stadion. Du musst helfen, Lucius sagt, du kannst richtig gut hacken, bist eine
Hackerin. Möglicherweise kannst du damit ein Unglück verhindern. Ich erklär es dir
unterwegs.«
*
Pamela und Josy wurden von einem
Wachmann ins Sicherheitszentrum geführt, das sich nicht oben bei den Journalistenkabinen,
sondern unten in einem Untergeschoss des Stadions befand. Sie gingen durch einen
großen, gelb gestrichenen Raum. Etwa 20 Leute, mehrheitlich Männer, die meisten
uniformiert, einige zivil gekleidet, saßen, standen und liefen. Da war die übliche
Ausrüstung, PCs, Monitore, Projektionswände, zu Pamelas Überraschung ein offenes
Regal mit Waffen. Einige redeten, alle schauten irgendwie verbissen. Wie der Wachmann
mit Pamela und Josy durchging, begleiteten sie aufmerksame Blicke, einige entfalteten
sofort eine gewisse wichtigtuerische Hektik. In einem kleinen Raum saß Tizian allein
an einem Konferenztisch. Auf dem Tisch hatte er einen Computer, einen Laptop, ein
Notebook, diverse Handys. Hinter ihm an der Wand stand auf einem Tischchen ein großer
Flachbildschirm. Daneben hingen aber auch Pläne, nicht nur des Stadions, des Quartiers,
der Stadt.
Etwas besorgt
schaute Pamela zu Josy. Josy war so schmal in ihrer hellgrauen, dünnen Tunika, den
Leggins, mit diesem
Weitere Kostenlose Bücher