Föhnfieber: Kriminalroman (German Edition)
augenblicklich sein Taxi zu verlassen. Es kostete
ihn schließlich einen Hunderter und noch einen, den Fahrer zur Weiterfahrt zu bewegen.
Es war ein einzelner Mann gewesen, der ihm unauffällig in den Zug nach Bern gefolgt
war. Dass er nicht einer der Bodyguards war, die ihr Treffen bewacht hatte und der
seine Abreise kontrollierte, vielleicht sogar zu seinem Schutz, war klar: Allein
schon am viereckigen Schädel mit dem Millimeterhaarschnitt war sein Beschatter als
älterer Mitarbeiter aus dem schweizerischen militärischen Geheimdienst auszumachen.
Er hatte ihn jedoch noch nie vorher bemerkt.
Wenn er
sich jetzt aber nach dem Treffen an ihn drangehängt und ihn womöglich sogar erkannt
hatte, so konnte er bloß hoffen, er habe dies noch nicht nach Bern gemeldet, wolle
seiner Sache sicher sein. In diesem Fall hatte er noch eine Chance.
Er bewegte
sich unauffällig gelassen durch den ganzen Zug und achtete zunächst darauf, dass
der Verfolger immer schön dranbleiben konnte. Im hintersten Wagen war das hinterste
Abteil leer. Das war meistens so bei diesen unsinnig langen Zügen. Er erreichte
es, bevor der andere den zweitletzten Wagen betrat. Diesen letzten Wagen durchschritt
er in aller Eile und versteckte sich um die Ecke der Toilette. Sein Verfolger müsste
meinen, er habe ihn irgendwo verloren, er würde sich nicht mit der nötigen Härte
und Vorsicht nähern. Pro forma würde er sich hier umsehen, ob zuerst in oder hinter
der Toilettenkabine, darauf kam es nicht an. Er zog die kurze Drahtschnur mit den
geknoteten Enden aus der Rocktasche.
Bern war anders. Immer wieder hatte
sie das Gefühl, sich einen Ruck geben zu müssen, als spielte ihr innerer Kompass
verrückt, als müsste sie sich erst mühsam in ihren Körper hineinschieben.
Meist meinte
sie noch im Erwachen, sie liege in ihrem Bett im Turm des Schlösschens oder in Roberts
Bett oder im Kajütenbett zu Hause in Alaska. Die Richtung stimmte nicht, ihr Kopf
kreiste, sie lag gar nicht da, wo sie wirklich lag.
Schon wieder
ein Föhntag.
*
Die Hausglocke gab ihre atonalen
Glockentöne von sich, doch niemand meldete sich in der Gegensprechanlage, Pamela
öffnete die Tür, und da stand schon Lucius davor, oben auf dem Treppenabsatz.
»Dad!« Sie
fiel ihm um den Hals, lachte, wie lang war das her, dass sie einander zuletzt gesehen
hatten, drei Jahre? »Komm herein!«
Wie war
er ins Haus gekommen, ohne unten zu klingeln? Eine Nachbarin von schräg über die
Gasse hatte gesehen, dass er vor dem Haus wartete. Er hatte gesagt, wer er sei,
sie hatte doch einen Schlüssel zum Haus. Das war genauso üblich in Alaska. Lucius
stellte seinen Trekking-Rucksack hin, schälte sich aus seinem wattierten Wettermantel,
schlüpfte ganz selbstverständlich auch gleich aus seinen festen Schnürschuhen. Erstaunt
sah Pamela handgestrickte braune Socken. Sie lachte, er war für eine Expedition
in die Wälder ausgerüstet, wo war der Koffer – und wusste er, dass hier in Bern
Frühling war?
Alt war
er geworden, es ging ihr durch Mark und Bein, wie sie ihn im Sonnenschein auf Emilys
Ledersofa sitzen sah. Er sah sehr klapprig aus, ein graues Männlein. Nein, hungrig
war er natürlich nicht. Auf dem Flug gab es noch immer etwas zu essen, wenn man
nicht mäkelig war, war es ganz recht. Er hatte auch viel Wasser getrunken. Die Zugfahrt
von Genf nach Bern hatte dann etwas gedauert, aber jetzt war er ja hier. Wenn Pamela
irgendwo ein Sofa oder in einer ruhigen Ecke gar eine Matratze hatte, so benötigte
er nicht mehr. Müde war er vom langen Flug, seine Reise dauerte nun doch schon mehr
als zwei Tage.
Auf Pamelas
vorsichtige Frage, ob er gedenke, Ferien zu machen, warum, um alles in der Welt,
er denn nicht angerufen hätte, warum sie nichts gewusst habe von seinen Absichten,
war die Antwort, er habe halt etwas Heimweh gehabt, so ohne Alice. Er sei doch schon
seit sechs Jahren nicht mehr in der Schweiz gewesen, Pamela ihrerseits hätte sie
vor mehr als drei Jahren das letzte Mal besucht. Da habe er einmal von ungefähr
gegoogelt und gleich einen günstigen Last-Minute-Flug samt Anschlussflug gefunden.
Er habe ihn spontan gebucht, Alice sei ja unterwegs, also brauchte er keine Rücksicht
zu nehmen, für den Gemüsegarten sei es jahreszeitlich auch noch zu früh, »und dann
sollte es doch eine Überraschung werden, du freust dich doch?«
Pamela schob
den Gedanken weg, dass es sie stören könnte. Er konnte die Gästetoilette benutzen,
doch waschen und duschen musste er
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