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Folge dem weißen Kaninchen

Folge dem weißen Kaninchen

Titel: Folge dem weißen Kaninchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Hübl
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Kunst der Andeutung
    Wir müssen andere ständig als fremde Sprecher ansehen und deshalb radikal interpretieren. Doch warum kommunizieren wir dennoch so mühelos miteinander? Darauf hat Grice eine Antwort. Er hält fest, dass auch Sprecher für gewöhnlich wohlwollend sind. Sie folgen dem
Kooperationsprinzip
, das aus mindestens vier Maximen besteht, die in etwa Folgendes fordern: Sei informativ, sprich die Wahrheit, sag nur Relevantes und drück dich dabei klar und einfach aus!
    Ein klassisches Beispiel. Die Autofahrerin sagt zum Beifahrer: «Der Tank ist fast leer», und lässt dabei aus: «Wir brauchen Benzin, sonst können wir nicht weiterfahren.» Der Beifahrer nimmt an, dass sie etwas Relevantes gesagt hat, und antwortet: «Hinter der nächsten Kreuzung ist eine Tankstelle.» Er lässt dabei aus: «Dort kannst du tanken.» Wir verständigen uns nur deshalb so gut, weil wir diese Auslassungen stillschweigend und automatisch ergänzen.
    Verletzt nun ein Sprecher eine dieser Maximen, so interpretiert der Hörer das als eine Andeutung oder Anspielung oder, wie Grice sagt, als eine
Implikatur
. Der Sprecher will mit seinen Worten etwas zu verstehen geben, was er nicht wörtlich sagt. Ein Beispiel. Ein Mann spricht eine Frau in einer Bar an: «Wie findest du die Musik?» Sie antwortet: «Fürchterlich, aber mein Freund geht voll drauf ab.» Mit dieser Antwort verletzt sie die Maxime der Relevanz, denn es ging um ihren Musikgeschmack und nicht um den ihres Freundes. Der Mann deutet diese Verletzung als Hinweis: «Ich bin vergeben, also versuch’s gar nicht erst.»
     
    Arbeitszeugnisse sind ein Paradebeispiel für andeutungsreiche Texte. Traditionell sollte der Inhalt wahr, aber lobend formuliert sein. Da beides nicht immer zugleich einlösbar ist, entstanden berüchtigte Formulierungen wie: «Er war immer pünktlich und tadellos gekleidet», was so viel hieß wie: «Alles andere war eine Katastrophe.» Da dieser Bewertungsstil in manchen Branchen veraltet ist, könnte eine vorsichtige Chefin auch schreiben: «Er war immer pünktlich. Und damit will ich nicht sagen, dass er nicht auch kreativ, zuverlässig und leistungsbereit war.» Eine wichtige Eigenschaft von Implikaturen ist also, dass man sie
löschen
kann. Bei Schlüssen aus der wörtlichen Bedeutung ist das nicht der Fall. Aus «Caesar wurde ermordet» folgt «Caesar ist tot». Das kann man nicht löschen, indem man sagt: «Caesar wurde ermordet, aber damit will ich nicht sagen, dass er tot ist.»
    Wie Davidson gezeigt hat, muss nicht nur der Sprecher, sondern auch der Hörer kooperativ sein. Das fällt uns oft erst dann auf, wenn Menschen absichtlich die Kooperation verweigern. Ein alter Scherz: Ich frage jemanden: «Wissen Sie, wo der Marktplatz ist?» Er antwortet: «Ja», und geht weiter. Er hat mich absichtlich wörtlich genommen, obwohl er natürlich wusste, was ich wollte. Ein anderes typisches Beispiel stammt aus dem Baumarkt: «Wo finde ich Schraubenzieher?» – «Schraubenzieher haben wir nicht.» – «Wo finde ich Instrumente, um Schrauben zu ziehen?» – «Ach so, Sie meinen Schraubendreher.» An dieser Stelle sollte man sich nicht auf eine terminologische Diskussion einlassen. Einfach nicken und den Schraubendreher kaufen.
     
    Wenn wir miteinander kommunizieren, greifen wir auf unser gesamtes Wissen zurück: über Bedeutung, Kooperation, andere Menschen und den Rest der Welt. Daher läuft oft alles so reibungslos, selbst wenn wir suggestiv und anspielungsreich sprechen. Man vergleiche «Ich war noch nicht am Buffet» und «Ich war noch nicht im Himalaya». Im ersten Fall ergänzen wir sofort stillschweigend «heute», im zweiten «in meinem Leben». Die Sätze selbst geben das nicht her, sondern allein unser Erfahrungswissen.
    Unsere Interpretationsmaschine arbeitet dabei so effizient, dass uns die vielen Grammatikfehler, Versprecher und unvollständigen Sätze oft gar nicht auffallen, nicht einmal die eigenen. Wer schon einmal die Mitschrift seiner eigenen Rede gelesen hat, erschrickt darüber, wie lückenhaft die eigenen Äußerungen. Sind. Ohne es zu merken, erzeugen und verarbeiten wir Sätze, in denen einzelne _____ fehlen. Wxr kxnnxn sxgxr Wxrtxr xhnx Vxkxlx vxrstxhxn. Oedr wnen die Buhcsteaben vrederht snid.

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    Helen Keller war 19  Monate alt, als sie durch eine unbekannte Krankheit taubblind wurde. Sie lebte im US -Bundesstaat Alabama im ausgehenden 19 . Jahrhundert. Ohne fremde Hilfe entwickelte sie bis

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