Folge dem weißen Kaninchen
Wortbedeutung und Äußerungsbedeutung. Wörtlich drückt zweimal «ja» eine Bejahung aus. Doch in manchen Äußerungskontexten heißt «ja, ja» so viel wie «stimmt nicht» oder noch Stärkeres. Ironischerweise hat Morgenbesser Austin mit seinen eigenen Waffen geschlagen, denn jener hat immer den Unterschied zwischen der Bedeutung eines Wortes und seiner Funktion im Gespräch betont. Immerhin war er einer der Begründer der Pragmatik.
Die Erforschung pragmatischer Phänomene begann erst Mitte des letzten Jahrhunderts, vor allem in der Analytischen Philosophie, die im Gegensatz zu anderen Strömungen besonders systematisch, genau und argumentativ arbeitet. In ihren Anfängen vor etwa 100 Jahren ging es vor allem darum, eine exakte Wissenschaftssprache zu formulieren. Daraus entsprang auch die Idee, die natürliche Sprache mit Hilfe der Logik darzustellen. An diesem Projekt hat sich grundsätzlich nichts geändert, doch der Blickwinkel vergrößerte sich zusehends. Lange konzentrierten sich die Forscher nämlich nur auf Aussagesätze. Als einer der ersten hat dann Wittgenstein in seinem Spätwerk anhand vieler Beispiele deutlich gemacht, dass unsere Sprache zahlreiche Facetten hat. Mit Worten können wir so viel mehr tun: beten, fluchen, flirten, grüßen, schwören, dichten, rappen, Abzählreime aufsagen, Witze erzählen.
Wittgenstein nennt all diese Handlungen
Sprachspiele
und verbindet damit auch eine Selbstkritik: In seinem Frühwerk habe er sich wie viele Kollegen nur auf ein sehr spezielles Sprachspiel konzentriert, das Aussagenmachen, und so die Vielfalt der anderen Spiele missachtet. Austin macht einen ähnlichen Punkt, spricht aber von
Sprachhandlungen
statt von Sprachspielen: Sätze haben für sich genommen zwar eine wörtliche Bedeutung, aber wir tun immer noch mehr, wenn wir sie äußern: Wir behaupten, erfragen oder befehlen etwas, wir taufen ein Schiff, unterzeichnen einen Vertrag oder erklären ein Paar zu Mann und Frau.
Sprachhandlungen oder «Sprechakte», wie sie auch heißen, folgen einer Logik: Mit Behauptungen beispielsweise verpflichtet sich der Sprecher stillschweigend darauf, dass er die Wahrheit sagt, selbst wenn er diese Bedingung nur ausnutzt, indem er lügt. Dabei kann man an der Satzform die Sprachhandlung nicht eindeutig erkennen, denn sie ist unabhängig von der Grammatik. Mit einem Fragesatz kann man auch etwas behaupten, beispielsweise: «Bist du verrückt?»
Wenn wir miteinander kommunizieren, vollziehen wir Sprachhandlungen, ohne dass wir deren Bedingungen aufschreiben könnten. Im Gegenteil: Sie herauszuarbeiten und in einer Theorie zu formulieren war mühsam und langwierig, auch wenn die Thesen am Ende wie selbstverständlich klingen. Die Texte von Austin, Grice, Wittgenstein und ihren Kollegen sind damit auch einschlägig für einen inzwischen etablierten Studiengang: die Kommunikationswissenschaft. Allerdings ist darin der Begriff der Kommunikation oft sehr weit gefasst: als «Austausch von Informationen». Berühmt ist die Pointe des österreichischen Kommunikationstheoretikers Paul Watzlawick: «Man kann nicht
nicht
kommunizieren.» Watzlawick meint, es wäre naiv zu glauben, wer zum Beispiel einfach nur unterm Baum sitze und lese, würde nicht kommunizieren. Denn stillschweigend und unbewusst teile man anderen immer etwas mit, beispielsweise: «Ich will nicht gestört werden.»
Damit verwischt Watzlawick allerdings einen wichtigen Unterschied: zwischen tatsächlichen Sprachspielen und solchen, die wir anderen nur fälschlich unterstellen. Grice hat gezeigt, dass wir für unsere Sprachhandlungen immer Absichten benötigen: Um jemandem zu sagen: «Es regnet», reicht nicht aus, dass ich dafür sorge, dass er diese Information erhält. Ich kann das Rollo hochziehen, damit der andere weiß, dass es draußen regnet. Damit habe ich noch nichts gesagt. Erst wenn ich äußere: «Draußen regnet es», liest er die Information an meiner Handlung ab, weil er mir eine Doppelabsicht zuschreibt: die Absicht, Informationen zu vermitteln, und die Absicht, das durch Zeichen zu tun. Wenn ich also gedankenverloren unterm Baum sitze, kommuniziere ich nicht, wenn ich keine Absichten habe. Ein Beobachter kann mir zwar unterstellen, dass ich damit ausdrücken will: «Lasst mich in Ruhe!», aber ob das zutrifft, hängt von mir ab. Nur wenn ich mich demonstrativ wegdrehe oder absichtlich andere ignoriere, teile ich ihnen das mit, indem ich eine wortlose Sprachhandlung vollziehe.
Die
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