Folge dem weißen Kaninchen
sogenannte
Einwortsätze
wie «Feuer!» oder «Party!», aber das sind Kurzformen für «Ein Feuer ist ausgebrochen!» oder «Wir feiern eine Party!».
Wie sehen die Hypothesen im Gavagai-Beispiel aus? Wenn die Ureinwohner bei Tieren «gavagai» sagen und bei Menschen «gavagum», kann der Forscher annehmen, dass «gava» so viel wie «da ist» heißt, außerdem «gai» für «Tier» und «gum» für «Mensch» steht. Hat der Forscher die fremde Sprache auf diese Weise vollständig zerlegt, kann er schließlich ein Übersetzungshandbuch erstellen.
Quine ist für seine These der
Unbestimmtheit der Übersetzung
berühmt geworden: Würden zwei Forscher unabhängig voneinander Handbücher verfassen, könnten diese zwar korrekt, aber dennoch inkompatibel sein. Zum Beispiel sei der
Bezug
einzelner Wörter immer unbestimmt: Vielleicht bezieht sich «gavagai» auf Kaninchen, vielleicht auch nur auf lebende, bekannte, putzige oder weiße Kaninchen. Ganz gleich, wie viele Beobachtungen der Forscher macht, es könnte immer sein, dass eine zukünftige Äußerung seine Übersetzungshypothese widerlegt. Das behauptet Quine jedenfalls.
Es ist schwer, schlagkräftige Argumente für die Unbestimmtheit der Übersetzung zu finden, wenn dahinter mehr stecken soll, als dass einer der beiden Forscher «ja» und «nein» verwechselt und sich daher bei seinen Übersetzungen die Vorzeichen umkehren. Einschlägig dagegen ist Quines
Holismus der Bedeutung
. Ein Holist sagt: «Alles hängt mit allem zusammen», oder: «Alles ist wichtig.» Normalerweise markiert eine solche These das Scheitern der Wissenschaft, denn Forscher versuchen immer, die wichtigen Faktoren von den unwichtigen zu isolieren. Wer sagt: «Alles ist wichtig», könnte auch sagen: «Nichts ist wichtig.»
Bezogen aufs Sprachverstehen, ist Quines These allerdings entscheidend. Wir können andere nur verstehen, wenn wir ihren Wörtern Bedeutungen unterstellen und ihnen
gleichzeitig
Überzeugungen zuschreiben: Sprachverstehen und Weltverstehen gehören immer zusammen.
Quine hat vorgeschlagen, über Bedeutung zu sprechen, ohne das Wort «Bedeutung» zu verwenden. Man benötige nichts weiter als Zustimmung und Ablehnung, oder allgemeiner: «wahr» oder «falsch». Die Sätze «Es schneit» und «It is snowing» sind gleichbedeutend, weil beide in denselben Situationen wahr oder falsch sind. Dieser Gedanke findet sich auch in Wittgensteins Frühwerk, das er während des Ersten Weltkriegs im Schützengraben verfasst hat: «Einen Satz verstehen, heißt, wissen, was der Fall ist, wenn er wahr ist.» Demzufolge muss man bei Wörtern nur herausfinden, was sie zur Wahrheit des ganzes Satzes beisteuern: Das ist dann ihre Bedeutung.
Wahrheit statt Bedeutung
Quines Schüler, der amerikanische Philosoph Donald Davidson, hat diese Idee ausgearbeitet. Sein etwas verschrobenes Beispiel geht so. Jemand sagt: «Ich mag Hippopotami. Sie haben eine runzlige Haut, und ich presse mir morgens drei zum Frühstück aus.» Davidson zufolge haben wir jetzt nur zwei Möglichkeiten: Entweder wir schreiben dem Sprecher einen exzentrischen Umgang mit Nilpferden zu, oder wir nehmen an, dass er mit «Hippopotamos» das meint, was wir mit «Apfelsine» meinen. Davidson spitzt Quines radikale Übersetzung zu, indem er behauptet, dass wir
immer
in der Situation des Feldforschers sind: Aus der eigenen Sicht spricht jeder andere Mensch eine fremde Sprache.
Seine Theorie nennt Davidson
radikale Interpretation
. Wir versuchen normalerweise, andere immer so zu deuten, dass sie etwas Wahres sagen. Sie richtig zu verstehen ist dabei immer ein Balanceakt. Allerdings sind wir grundsätzlich
wohlwollend
: Bevor wir annehmen, dass unser Gegenüber das Blut von Nilpferden trinkt, gehen wir eher davon aus, dass er etwas anderes meinte, zum Beispiel sich versprochen hat. Ganz allgemein behandeln wir andere als vernünftige Wesen, die weitgehend diejenigen Auffassungen haben, die wir selbst haben.
Die Interpretation eines Sprechers hängt also von zwei Zuschreibungen ab: der Bedeutung seiner Worte und seinen Überzeugungen – von mehr nicht. Inspiriert durch die Arbeiten des polnischen Logikers Alfred Tarski, hat Davidson seine Bedeutungstheorie ausgearbeitet. Auch er verzichtet auf «Bedeutungen» und spricht nur von «Wahrheitsbedingungen», die mit Hilfe der Logik darstellbar sind.
Einige Wörter und Sätze kann man leicht aufschlüsseln. Schauen wir uns den Satz «Goliath ist groß, und David ist schlau» an.
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