Folge dem weißen Kaninchen
werden lässt – eine notwendige Bedingung für die Kreativität der Traumbilder.
Hobson ist nicht besonders an der evolutionären Funktion von Träumen interessiert, sondern vor allem daran, wie sie entstehen und welche Hirnareale dabei aktiv sind. Man fragt sich dennoch, wer eigentlich die Geschichte erzählt, die wir im Traum erleben. Spontan könnte man meinen: das Gehirn. Aber damit beginge man denselben Fehlschluss, dem schon Platon und Freud aufsaßen. Das Gehirn ist keine handelnde Person. Die Annahme, dass es sich dabei um eine Art sprachlicher Erzählung handelt, überzeugt ebenfalls nicht, denn unsere Traumfilme laufen ohne Untertitel oder Erzähler im Off ab. Sie haben eine
episodische
Struktur, aber sie sind nicht gesprochene Erzählungen. Schließlich gibt es noch ein weiteres Problem: Wiederkehrende Träume widersprechen der Annahme, dass die Geschichten auf zufälligen Reizmustern beruhen. Wäre das der Fall, müssten die Trauminhalte ebenso zufällig sein.
Mark Solms, ein in London lehrender Psychiater (und preisgekrönter südafrikanischer Weinbauer), hat Hobsons Aktivierungs-Synthese-Theorie vor einiger Zeit in Frage gestellt. Solms fand Fälle, in denen Patienten aufgrund von Hirntumoren keinen REM -Schlaf mehr hatten, aber dennoch träumten. Durch eine intensive Analyse der Forschungsliteratur glaubt er, auch den umgekehrten Fall belegen zu können: Einige Patienten hatten aufgehört zu träumen, obwohl sie noch REM -Schlaf hatten. Man spricht hier von einer
doppelten Dissoziation
: Wenn zwei Faktoren wie REM -Schlaf und Träumen jeweils allein auftauchen können, dann sind sie unabhängig voneinander. Solms zufolge heißt das, dass Hobsons Theorie nicht stimmen kann. Hobson wirft Solms dagegen vor, dass er die Berichte der betroffenen Patienten nicht richtig interpretiert habe.
Solms entdeckte allerdings noch mehr. Schädigungen im Stammhirn beeinflussen allein den Inhalt von Träumen, nicht aber das Träumen selbst. Er schätzt auch die Rolle des Belohnungs- und Lustzentrums im
limbischen System
anders als Hobson ein, also den Ort, an dem Gefühle, Wünsche und Vergnügen entstehen. Solms zufolge sprudelt dort die eigentliche Quelle des Träumens. Deren Wellen fließen allerdings nicht bis in denjenigen Bereich des vorderen Hirns, den wir zum Urteilen und Nachdenken benötigen. Diese Entdeckung kann man auch so lesen: Träume haben hauptsächlich mit Wunscherfüllungen zu tun und behüten den Schlaf, indem sie das Aufwachen verhindern. Zeigt mein James-Bond-Traum also, dass in mir der geheime Wunsch schlummert, als Geheimagent unterwegs zu sein? Und: Hatte Freud doch recht?
Solms jedenfalls suggeriert das, verdeckt damit jedoch, dass sein Ansatz nur oberflächlich freudianisch ist. Man muss Solms Freud-Label also eher als Teil einer Marketingstrategie verstehen. Um sich von der dominierenden Forschungsmeinung der anti-freudianischen Hobson-Schule abzuheben, präsentiert er seine Theorie als radikalen Gegenentwurf, teilweise sogar dadurch, dass er die eigene Position überpointiert und seinen Gegner verzerrt darstellt. Tatsächlich unterschieden sich beide nur in Nuancen. Bei Hobson sind Zufall und Synthese wichtiger, bei Solms Wunsch und Motivation. Solms hält außerdem den Stimmungsmacher Dopamin für den wichtigsten Botenstoff des Träumens. Auf Grundlage der momentanen Daten ist jedoch nicht entscheidbar, wer von beiden recht hat oder ob sich am Ende ein Dritter freut, der Elemente beider Ansätze verbindet. Noch zu viele Produkte aus der Traumdrogerie sind unbekannt. Die Forschung blickt also einer aufregenden Zukunft entgegen.
Haben Träume einen Sinn?
Paul hat am nächsten Tag eine wichtige Präsentation und träumt, dass er einen endlos langen Gang hinunterlaufen muss und dabei nicht von der Stelle kommt. Paula ist frisch verliebt und träumt trotzdem ständig von ihrem Exfreund. Beide erfahren in Ihren Träumen etwas über sich selbst. Wenn sie den Inhalt ernst nehmen, dann ändern sie vielleicht sogar ihr Leben. Paula könnte bei ihrem Ex anrufen, Paul seine Rede noch einmal üben. Was uns beschäftigt, taucht immer mal wieder in Träumen auf. Daher könnte man meinen, dass gerade das die Funktion von Träumen ist: Sie führen uns noch einmal vor Augen, was uns wirklich wichtig ist. Diese Auffassung verneint der amerikanische Philosoph Owen Flanagan radikal. Seiner Meinung nach haben Träume überhaupt keine Funktion. Flanagan nennt seine Extremposition
Spandrel Theory of
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