Folge dem weißen Kaninchen
unserer Erinnerung und die Dynamik unseres Bewusstseins.
Wegweiser zum Bewusstsein
In Träumen sind Personen und Orte austauschbar. Derselbe Mensch kann nicht nur plötzlich anders aussehen, man kann in vielen Situationen auch bekannte Menschen durch andere ersetzen. Dazu reicht schon derselbe Name. Wenn also die Nachbarin, Frau Schneider, plötzlich so aussieht wie die Schauspielerin Romy Schneider, dann könnte das darauf hindeuten, dass der Name «Schneider» im Gedächtnis nur einmal abgespeichert ist und alle weiteren Informationen damit verdrahtet sind. Diese These deckt sich mit Erkenntnissen aus der Psychologie über das erwähnte mentale Lexikon. Im Langzeitgedächtnis haben Wörter anders als im Duden nur einen Lexikoneintrag: «Ball» ist demnach als Wortform nur einmal gespeichert, und die Bedeutungen «Tanzveranstaltung» und «kugelförmiges Spielzeug» sind jeweils damit verbunden.
Ein weiteres Beispiel: Wenn eine Person plötzlich anders aussieht, macht uns das in Träumen nicht stutzig. Das könnte uns etwas über unsere Fähigkeit zur Wiedererkennung verraten. Personen und Gegenstände zu erkennen ist das eine, das Gefühl von Vertrautheit dabei zu haben etwas anderes. Normalerweise erleben wir beides zusammen: Wir sehen unsere Verwandten und Bekannten als uns vertraute Personen. In einigen neurologischen Störungen kann das aber auseinandergehen. Und in Träumen eben auch.
Wie erwähnt, verbessert sich das Gedächtnis in Träumen. Man kann sie sogar aktiv zum Gedächtnistraining nutzen. Ein faszinierendes Forschungsfeld stellen die sogenannten
Klarträume
oder
luziden Träume
dar, in denen man weiß, dass man träumt und auch Kontrolle über die Inhalte hat. Einige Menschen haben diese Gabe von Natur aus, den meisten von uns passiert es äußerst selten. Man kann Klarträume jedoch trainieren, und zwar indem man sich vor dem Einschlafen vor Augen führt, was typisch für Träumen ist nach dem Muster: «Wenn ich fliege, dann träume ich.» Mit etwas Glück setzt im Traum dann die Selbstreflexion ein. Hobson behauptet, mit der richtigen Übung könne man im Traum alles tun, sogar «intime Beziehungen» mit seinen Traumpartnern eingehen. Wenn man das liest, denkt man zunächst: Klar, träum weiter! Aber es funktioniert wirklich.
Der englische Psychologe Stephen LaBerge und seine Kollegen konnten Klarträume äußerlich nachweisen, indem sie Versuchspersonen baten, ihre Augen im Traum deutlich nach rechts oder links zu bewegen. Andere Forscher konnten zeigen, dass sich motorische Fähigkeiten verbessern, wenn man sie im Traum übt. Bei einem einfachen Geschicklichkeitsspiel, bei dem man Münzen in eine Tasse werfen musste, war eine Gruppe von luzid Träumenden durch ihre nächtlichen Übungen besser als die Vergleichsgruppe.
Aber auch die normalen Träume ohne Kontrolle helfen uns, den Geist besser zu verstehen. Der kolumbianisch-amerikanische Neurowissenschaftler Rodolfo Llinás und seine Kollegen vertreten die These, dass die Neurologie des Träumens Aufschluss über etwas viel Mysteriöseres geben kann als die Erinnerung, und zwar über die neuronalen Grundlagen des Bewusstseins. Traum und Wachzustand haben nämlich eines gemeinsam: Wir erleben sie in unserem Bewusstsein. Eindrücke, Gedanken und Gefühle wechseln ständig, die persönliche Innenperspektive jedoch, die all diese zu unseren Eindrücken, Gedanken verbindet, bleibt immer bestehen.
Vergleicht man also die Hirntätigkeit während der Träume und des Wachzustands miteinander, so Llinás und Kollegen, wird man eine Gemeinsamkeit entdecken, nämlich die neuronale Grundlage des Bewusstseins, das ja in beiden Fällen aktiv ist. Sobald alle Unterschiede abgezogen sind, bleibt genau dieser Kern übrig. Unwahrscheinlich ist, dass das Bewusstsein in einem bestimmten Hirnareal sitzt, denn es ist dauerhaft eingeschaltet, während einzelne Hirnzentren nur zeitweise aktiv sind. Für den aussichtsreichsten Kandidaten halten die Forscher daher Entladungen von elektrischen Phasen von etwa 40 Hertz, die periodisch alle zwölf Millisekunden über die gesamte Hirnrinde tanzen. Diese Elektro-Choreographie hat das Traumbewusstsein mit dem Wachbewusstsein gemein.
Pointiert drehen Llinás und Kollegen die übliche Hierarchie um, indem sie den Wachzustand als
Online-Träumen
bezeichnen. Der einzige Unterschied liege im Wahrnehmungsinput. Während man als Träumer in seiner eigenen Welt herumphantasiert, weitgehend isoliert von äußeren Reizen,
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