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Folge dem weißen Kaninchen

Folge dem weißen Kaninchen

Titel: Folge dem weißen Kaninchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Hübl
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bestehen deshalb Träume selbst noch nicht aus Symbolen. Ein Beispiel: Freud hielt das Traummotiv des Fliegens für eine Umdeutung des Geschlechtsverkehrs. Heute weiß man, dass es sich dabei um eine ganz rohe, körperliche Illusion handelt, die durch die Lähmung der Muskeln in der REM -Phase entsteht. Man kann das folgendermaßen veranschaulichen: Das motorische Zentrum im Gehirn sendet Bewegungsbefehle in Richtung Muskeln, die aber nicht ans Ziel gelangen. Da keine Reize von Muskelanspannung oder einem gefühlten Widerstand vorhanden sind, setzt ein Mechanismus ein, der die sich widersprechenden Signale vereint. So entsteht eine Illusion von Leichtigkeit und Schwerelosigkeit; in anderen Fällen eine von Lähmung und Betäubung.
     
    Die Rolle der unterdrückten Sexualität hat Freud ohnehin maßlos überschätzt. Die REM -Phasen machen bei Babys ungefähr acht Stunden ihres 16 -stündigen Schlafes aus. Man kann sich darüber streiten, ob Kleinkinder schon Wünsche haben, aber in jedem Fall haben sie keine unterdrückten oder gar sexuellen. Vermutlich wurde Freud durch den Fokus auf seine eigenen Träume in die Irre geleitet. Kurz vor dem Aufwachen ist der Sexualhormonspiegel nämlich besonders hoch, nicht aber während der Nacht, in der man selten aufwacht und an deren Erlebnisse man sich nicht erinnert. Hätte Freud in einer methodisch sauberen Studie Versuchspersonen nachts geweckt, wäre ihm das sicher aufgefallen.
    Und dann ist da noch der Verdrängungsmechanismus, der angeblich charakteristisch für unseren Geist ist. Es mag sein, dass zu Freuds Zeit, im verklemmten Österreich um 1900 , die Oberschicht ihre primären Wünsche
aktiv
verbarg. Aber daraus folgt nicht, dass Menschen in allen Epochen und Kulturen zu der von Freud angenommenen
passiven
Verdrängung neigen. Viele Psychologen reden zwar heute von
unbewusster Informationsverarbeitung
. Aber damit ist nur gemeint, dass geistige Prozesse jenseits der Aufmerksamkeit ablaufen können. Für diese Annahme sprechen unzählige unabhängige Versuche. Die Annahme eines «Unbewussten» jedoch ist experimentell unhaltbar: Es gibt im Geist keinen eigenständigen Bereich, in dem ein Zensor Gedanken und Wünsche umdichtet und verschlüsselt.
    Freuds Annahmen von Verdrängung und Symbolisierung sind nicht nur schlecht begründet, sondern sie widersprechen auch den Fakten. Denn in Träumen sind Wünsche, Ängste und erotische Phantasien ja gerade äußerst präsent. Warum sollten wir gleichzeitig erlebte und verdrängte Wünsche verarbeiten? Anders gefragt: Warum sollten wir als Traumregisseure neben dem Director’s Cut im selben Kino noch eine zensierte Filmversion nach freiwilliger Selbstkontrolle abspielen?

Moderne Traumtheorien
    Die modernen Theorien distanzieren sich deutlich vom interpretatorischen Ansatz der Psychoanalyse. Ende der siebziger Jahre entwickelte Hobson mit Kollegen die bis heute dominierende Standardauffassung. Statt wie Freud näherte er sich dem Traum nicht über den Inhalt, sondern über die Hirnaktivität. Mit einigen aktuellen Verfeinerungen ergibt sich folgendes Bild: Während der REM -Phasen steigt im Stammhirn, einer tiefliegenden und alten Hirnstruktur, die Konzentration des Neurotransmitters Acetylcholin und produziert so zufällige Erregungsmuster. Diese
Aktivierung
trifft dann jene Zentren, die für Sehen, Bewegung und Gefühle zuständig sind. In der höheren Hirnrinde setzt in einem zweiten Schritt ein Interpretationsmechanismus ein: die
Synthese
. Irgendwie formen sich die wirren Eindrücke in unserem Geist mit Rückgriff auf unsere Erinnerungen zu einem sinnvollen Bild. Auch wenn das nach einem Prozess in zwei Schritten klingt, bekommen wir als Träumende nur das Endprodukt präsentiert. Hobson nennt seine Theorie wegen dieser zwei Schritte
Aktivierungs-Synthese-Theorie
. Das kommt meinem James-Bond-Traum schon näher, denn ich hatte nicht nur am Tag zuvor den neuen James Bond gesehen, auch die Szenerie kam mir sonderbar vertraut vor. Irgendwie hatte ich das alles schon mal erlebt.
    Hobson hat auch eine Erklärung für die anderen Traumeigenschaften parat: Illusionen der Bewegung und Schwerkraft entstehen durch die Unterdrückung der motorischen Zellen. Der Botenstoff Acetylcholin stimuliert auch den Mandelkern, der an der Entstehung vieler Gefühle beteiligt ist. Gleichzeitig vermindern andere Stoffe die Aufmerksamkeit, die Erinnerungsfähigkeit und das logische Denken, was unsere «interne Sprache» assoziativ und dichterisch

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