Folge dem weißen Kaninchen
Naturgesetze und dazu noch die Verteilung aller Elementarteilchen im Universum zu einem bestimmten Zeitpunkt. In einem deterministischen Universum kann er dann daraus die Verteilung der Teilchen zu jedem Zeitpunkt errechnen, in der fernsten Vergangenheit wie der fernsten Zukunft. Die Laplace’sche Vorhersehbarkeit verdeutlicht die Grundidee des Determinismus, «Alles ist festgelegt», ist aber noch stärker, denn sie sagt: Im Prinzip kann man es sogar wissen. Die Welt könnte natürlich deterministisch sein, auch wenn es niemals jemand herausfinden kann.
Wer über den Determinismus nachdenkt, gerät schnell in einen gedanklichen Strudel. Wenn der Weltlauf fixiert ist und ich denke, dass er fixiert ist, dann musste ich das ja denken. Und ich musste auch denken, dass ich denke, dass ich es musste. Und so weiter. Der antike Philosoph Zenon ließ sich nur zu gerne in diesen Strudel hineinziehen. Man berichtet, dass er einmal einen Sklaven schlug, der ihn beklaut hatte. «Mir war vom Schicksal bestimmt zu stehlen», verteidigte sich der Sklave. «Und auch, dafür geschlagen zu werden», erwiderte Zenon.
Die Alternativlosigkeit des Determinismus lässt der Freiheit keinen Spielraum: Wenn die Welt keine Verzweigungen zuließe, dann gäbe es für uns kein Anderskönnen. Selbst wenn ich dächte, ich hätte statt Red Bull auch Cola kaufen können, stimmte das nicht. Freiheit wäre dann eine systematische und kolossale Illusion: Wir hielten uns für frei, auch wenn wir es nicht sind.
Ist alles festgelegt?
Die Freiheitsfreunde sind davon überzeugt, dass wir frei sind. Man nennt sie auch
Libertarier
, nach dem Lateinischen «liber» für «frei». Da ihrer Meinung nach nur der Determinismus der Freiheit entgegensteht, müssen sie zeigen, dass der Weltlauf nicht festgelegt ist. Das ist nicht ganz leicht, denn der Determinismus ist nicht direkt nachweisbar oder widerlegbar, da es sich um eine metaphysische These handelt. Mit «Metaphysik» ist nichts Übersinnliches oder Unwissenschaftliches gemeint, sondern derjenige Teil der Philosophie, in dem es um die allgemeinste Natur der Welt geht, beispielsweise um Raum und Zeit. Metaphysische Thesen kann man nicht mit empirischen Methoden, also Beobachtungen und Experimenten, stützen. Wir können also niemals wissen, ob wirklich alles festgelegt ist, aber wir können uns fragen, welche Naturgesetze überhaupt für eine solche Annahme sprechen würden.
Dazu muss man sich zunächst im Klaren darüber sein, was Naturgesetze sind. Der Ausdruck «Gesetz» suggeriert, dass es sich um eine Vorschrift handelt. Diese vermenschlichte Sicht von Gesetzen hat selbst Newton noch vertreten: Wie der Mensch Gesetze verabschiede, die anderen Menschen vorschreiben, was sie zu tun haben, so erlasse Gott die Naturgesetze, die der Natur vorschreiben, wie sie sich verhalten soll. Tatsächlich sind Naturgesetze jedoch ganz anders als juristische Gesetze. Es sind unsere Beschreibungen und Verallgemeinerungen über Kräfte und gleichförmige Abläufe in der Welt. Sie sagen, wie die Natur sich verhält, aber nicht, wie sie sich verhalten soll. Naturgesetze legen den Lauf der Welt nicht buchstäblich fest. Der Weltlauf ist, wie er ist. Wir versuchen bloß, ihn mit Hilfe von Verallgemeinerungen zu verstehen. Daher kann man Naturgesetze auch niemals brechen. Man kann allenfalls beim Aufstellen der Gesetze Fehler machen.
Die amerikanische Philosophin Nancy Cartwright ist eine der prominentesten Kritikerinnen der deterministischen Auffassung von Naturgesetzen. Sie argumentiert so: Wir haben nur dann Grund, den Determinismus anzunehmen, wenn wir jedenfalls im Prinzip Naturgesetze finden könnten, die exakt sagen, was tatsächlich im Universum passiert, zu jedem Zeitpunkt an jeder Stelle. Wenn also die perfekte Physik der Zukunft Gesetze finden könnte, die denen eines Laplace’schen Dämons sehr nahe kommen. Aber, so fährt Cartwright fort, keines der bekannten physikalischen Gesetze erfüllt all diese Bedingungen. Wenn aber die Gesetze der Physik schon nicht für den Determinismus sprechen, dann spricht nichts dafür, denn noch genauere Gesetze gebe es nicht. Die Annahme eines Determinismus sei reines Wunschdenken einiger Naturwissenschaftler und Philosophen.
Warum ist das so? Der Laplace’sche Dämon benötigt Gesetze, die wahr sind, keine Ausnahmen zulassen und etwas über den tatsächlichen Weltlauf sagen. Cartwright zeigt, dass keines der bisher bekannten Gesetze der Physik alle drei Bedingungen
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